Theater Mit Fantasie gegen Familien-Diktatur

Düsseldorf · Stephan Kimmig bringt im Schauspielhaus „Fanny und Alexander“ von Ingmar Bergman auf die Bühne.

Abendmahl in der kargen Bischofs-Residenz: In ihrem neuen Zuhause bei Kirchenmann Vergérus erfahren Emilie Ekdahl und ihre Kinder Fanny, Alexander und Amanda strenge Regeln, Askese, Zucht und Gewalt.

Foto: Sandra Then

Der Film

„Fanny und Alexander“ ist der letzte Kinofilm des schwedischen Star-Regisseurs Ingmar Bergman (1918-2007). Das dreistündige Leinwand-Werk erzählt von den Geschwistern Fanny und Alexander. Sie entstammen der großbürgerlichen Familie Ekdahl, die Theater spielt, rauschende Feste feiert und ein warmherziges Miteinander pflegt. Nachdem ihr Vater Oscar stirbt, heiratet ihre Mutter Emilie den bigotten Bischof Edvard Vergérus. Der Kirchenmann verlangt von Emilie, mit den Kindern in seine karge Residenz zu ziehen, all ihre weltlichen Habseligkeiten hinter sich zu lassen und den Kontakt zu ihrer Familie abzubrechen. Der hohe Geistliche entpuppt sich als diktatorischer Patriarch: Er sperrt die Familie ein oder züchtigt Alexander mit Schlägen. Als die Ekdahls immer stärker unter der Kaltherzigkeit des Kirchenvertreters leiden, entschließen sie sich zur Flucht. Mit fremder Hilfe, dem Glauben an die Kraft der Magie und des Übersinnlichen, wendet sich schließlich alles zum Guten.

Die Inszenierung

Regisseur Stephan Kimmig faszinierte „Fanny und Alexander“ bereits als Student an der Münchener Schauspielschule in den 1980er Jahren. Dank Intendant Wilfried Schulz hat Kimmig die schwedische Familien-Saga nun in ein Theaterstück verwandelt. Auf der Bühne im Schauspielhaus am Gründgens-Platz erstreckt sich ein wuchtiger Kasten, der zur anderen Seite hin offen ist. Er steht für das Domizil des Bischofs: Eine Mischung aus trister Trutzburg und fensterlosem Gefängnis. Kimmig konzentriert sich in seiner Inszenierung zunächst auf das Leben von Emilie,  den drei Kindern Fanny, Alexander und Amanda (taucht im Film nicht auf) mit Bischof Vergérus - das Stück beginnt auch damit. In Rückblenden erzählt Kimmig, wie es dazu kam. Zeigt den nicht nur schauspielerisch, sondern auch als Vaterfigur schwachen Oskar (im Stück mit „k“) – in seiner Schlappheit glaubwürdig gemimt von Thomas Wittmann. Demgegenüber gibt Christian Erdmann den Vergérus als dominanten Mann, der seine Lebensgrundsätze und Moralvorstellungen auch mit Gewalt vertritt. Und genau diese höchst unsympathische Figur scheint Kimmig in ihrem Denken und Tun verstehen zu wollen. Denn der Bischof ist überzeugt davon, aus Liebe zu strafen. Im Bergman-Film gelingt es Schauspieler Jan Malmsjö, das lebensfeindlich praktizierte Christentum des Bischofs in seiner asketischen, demütigen und gefühlskalten Schwere zu vermitteln. Der Düsseldorfer Bühnen-Vergérus betet zwar auch, doch die Religion als Urgrund für sein tyrannisches Verhalten erschließt sich nicht. Vielmehr erscheint er als sexuell übergriffiger und sadistischer Patriarch im Anzug, der seiner Frau in den Schritt greift und den Stiefsohn foltert. Minna Wündrich spielt Emilie Ekdahl kecker, selbstbewusster und widerständiger als Ewa Fröling im Film. Sie scheint ihren neuen Mann zunächst nicht allzu ernst zu nehmen, kontert seine Strenge mit spielerischer Leichtigkeit und merkt dabei nicht, wie sie und ihre Kinder ins Verderben gleiten. Als ihr das familiäre Unglück aber bewusst wird, kämpft sie umso erbitterter gegen ihren Gatten – ein überzeugender Auftritt. Die Glanzrolle des Abends verkörpert aber Lea Ruckpaul mit Alexander: ein aufgeweckter, quirliger Widerstandsgeist, der offen ist für Fantasie und Magie, der dem Bischof unermüdlich Paroli bietet, sich über den schwachen Vater ärgert (der ihm immer wieder als Gespenst erscheint) oder Gott hinterfragt. Fantasie, Magie und Traum verwenden die Kinder wie Waffen: Sie sprechen in eine Kamera, die Bilder und Texte knallen auf das Bischofs-Mausoleum, nehmen es ein.

Fazit

Trotz der guten schauspielerischen Gesamtleistung wird der Inszenierung eines zum Verhängnis: Sie ist mit über drei Stunden viel zu lang. Zwar erfordert schon der Film Geduld, doch die Spannung hält bis zum Schluss. Bei Kimmig wird die Bergman-Geschichte zum Geduldskampf. Er verzettelt sich mit Nebenhandlungen um Großmutter Helena Ekdahl und deren Söhne Carl und Gustav Adolf, die zwar den Film bereichern, der Bühnen-Geschichte aber ihren Schwung nehmen. Die Geschichte über den Kampf zwischen den Ekdahls und dem Bischof hätte schon genügend Reflexionsstoff geboten: die Unterdrückung von Theater und Fantasie in Diktaturen oder die Familie als Keimzelle von Gewalt und Rebellion.

Nächste Aufführung am 11. Juli, 19 Uhr im Schauspielhaus.