Düsseldorf Mutti Angela verordnet Theater-Therapie

Mit gutem Gefühl für Tempo und Pointe inszeniert René Heinersdorff die Polit-Satire „Mutti“ — ein ungewöhnlicher Stoff fürs Boulevard.

Foto: Nicole Brühl

Düsseldorf. Sich duzen mit Kabinettsmitgliedern der Groko? Nein, das kommt für Angela Merkel nicht in Frage. Auch nicht bei einer Gruppentherapie, an der die Granden der Großen Koalition teilnehmen. Sie müssen! Weil’s „Mutti“ so will. Und man ist per Sie, spricht sich mit Vornamen an. Die Komödie „Mutti“, in der das Autoren-Duo Juli Zeh und Charlotte Roos der Kanzlerin ein satirisches Denkmal errichten wollen, setzt jetzt René Heinersdorff in seinem Theater an der Kö in Szene — etwa ein Jahr nach der Uraufführung im Weimarer Nationaltheater.

Bei der Premiere wurde Tausendsassa Heinersdorff — wenn auch in Abwesenheit, da er selbst in Hamburg auf der Bühne stand — gefeiert. Immerhin erschien er auf der Mattscheibe — mit pechschwarzer Trinen-Perücke als Jogi Löw.

Fußball? Ja, Therapeut Hellmann lädt ausgerechnet am Tag des WM-Finales in Moskau seine Patienten zur Sitzung: Angela, Sigmar (Gabriel), Ulla (von der Leyen) und Horst (Seehofer). Nicht gegen Argentinien kickt Löws Elf, sondern gegen China. Fußballfans, bitte Ruhe bewahren: Ist ja nur Theater!

Klar, dass Mutti mal wieder am Smartphone klebt, um Jogi Befehle zu erteilen. „Aufstellung Zwei-Fünf-Drei“, schnauzt Mutti ihn an. Und drückt Bastian Schweinsteiger die Daumen; denn die sonst so emotionslose, realpolitische Angela, die immer die Nummer Eins sein will, outet sich nicht nur als Fan, sie ist fast verknallt in Schweini. Ja, wegen Schweini legt sich die Kanzlerin mit Smartphone, hängenden Mundwinkeln und Raute-Händen sogar mit ihrem Therapeuten an.

Ansonsten geht es in der Polit-Groteske eher um Krisen, wie Griechenland und Flüchtlingsbewegungen. Genauer: Um Kontroversen. Um diese nicht zu einer handfesten Krise in der Groko auswachsen zu lassen oder wenn doch, sie glimpflich zu überstehen, wird Hellman als Therapeut engagiert. Mit Gruppen- und Rollenspielen soll er Miss-Stimmungen auf den Grund gehen und Risse in der Ehe zwischen den politischen Rivalen kitten.

Eine Konstellation mit genügend Zündstoff für turbulente Verwicklungen. Doch so leicht, wie sich das anhört, ist die Chose nicht. Zwar strafft Pointen- und Tempo-Freak Heinersdorff langanhaltende Reden des Quartetts, kaschiert raffiniert die Schwächen des Stücks und sichert den Darstellern die Lacher. Wie es sich für Polit-Satire gehört, überzeichnet er alle: die Kanzlerin, die sich standpunktlos und alle Informationen aufsaugend zurückhält, ihre Partner sich in Zank und Streit austoben lässt und dann in allmächtiger Einsamkeit Entscheidungen fällt. Auf den Punkt gespielt von Nina Vorbrodt in gelbem Jackett und mit merkeltypischer, einlullender Satzmelodie.

Parodiert wird Sigmar von Gerhard Fehn als gewichtiger Vizekanzler und Ehemann, der sich sofort einklinkt, wenn das Wort sozial fällt, am Ende aber doch den Kürzeren zieht. Dorkas Kiefer überzeugt als ehrgeizige, frisch geblondete Ulla in Nobelkostüm, die, via rotem IPad, meist in Verbindung mit den Spitzen des Verteidigungsministeriums ist und ihr Mäntelchen nach dem Merkelwinde dreht.

So richtig durch den Kakao gezogen wird Horst: Frank Büssing, sicher in bayrischem Akzent, mimt hinreißend komisch den vertrottelten Papa und Seitensprung-Spezi Seehofer, der den anderen hinterherhinkt, ständig telefoniert und nach der Wiesn fragt. Häufig lässt er, der bekanntermaßen kein Fan von Bayern München ist, sich in einen Sessel sinken: Um den Hals den rot-weißen Schal vom FC Ingolstadt, in der Hand „a Moas“ helles Bayernbier. Wohl bekomm’s.

Im Laufe des Abends hagelt es böse Sprüche, redselige Passagen und politische Anspielungen. Um Letztere zu verstehen, benötigt man freilich mehr Vorwissen und Geduld als sonst im Boulevard-Theater. Aber ausharren lohnt sich. Denn Lachen ist angesagt — über ein Quartett, das meist eher zum Weinen und Kopfschütteln Anlass gibt.