Zweiklang im Düsseldorfer Schumann-Saal Ein Abend mit Chandler, Noethen und Mozart
Düsseldorf · Ulrich Noethen las aus Raymond Chandlers „Der große Schlaf“ vor, das Boulanger-Trio spielte dazu.
Den Robert-Schumann-Saal komplett zu füllen – bei der Reihe „Zweiklang! Wort und Musik“ gelingt das oft. So auch beim Auftritt des Schauspielers Ulrich Noethen. Für seine Rezitation hatte er den Krimi-Klassiker „Der große Schlaf“ von Raymond Chandler gewählt. Begleitet wurde er vom famosen Boulanger-Trio mit Karla Haltenwanger (Klavier), Birgit Erz (Violine) und Ilona Kindt (Violoncello). Einmal mehr war es ein berauschendes Erlebnis, wie sich beides ergänzte. Die Musik, darunter schwungvolle Stücke von Astor Piazzolla und Mozarts traumschöner 2. Satz aus dem Klavierkonzert C-Dur, illustrierten die Handlung perfekt.
Ulrich Noethen fand von Anbeginn den richtigen Ton, das Publikum zu fesseln, in den Sog der Geschichte einzubinden und deren Fortgang mit Spannung zu verfolgen. Seine Vorbemerkung sollte sich dabei als hilfreich erweisen. Der Autor, sagte er, habe eine Kette von Schlussfolgerungen skizziert, ihm sei es weder auf den Plot noch auf Plausibilität angekommen.
Chandlers Überzeugung: Die Leser würden nur denken, sich für Action zu interessieren. Im Grunde interessiere sie „das Erzeugen von Emotionen durch Dialoge und Beschreibungen“. Vor allem sind es die präzisen Beobachtungen, die Auflistung kleinster Details und die atmosphärisch dichten Schilderungen, die Chandlers Sprache so reich erscheinen lassen.
Für seinen Roman „Der große Schlaf“ schuf er 1939 die Figur des Philip Marlowe. Ein melancholischer Privatdetektiv, einem harten Drink nie abgeneigt. Dieses Motiv zieht sich durch. Der Autor war alkoholkrank, ging schließlich an seiner Trunksucht zugrunde.
Eines Tages wird Marlowe ins Haus des reichen Generals Sternwood gerufen. Dort begegnet ihm dessen wilde Tochter Carmen: „Scharfe Raubtierzähnchen glitzerten zwischen schmalen angespannten Lippen.“ Oder: „Sie senkte ihre Wimpern, bis sie fast mit ihren Wangen kuschelten.“ In einem Treibhaus, dumpf, feucht, dunstig, die Luft von Orchideen geschwängert, sitzt in der Lichtung unter einer Glaskuppel der General im Rollstuhl. Ein offenkundig sterbenskranker Mann mit dünnen Klauenhänden, das Gesicht eine bleierne Maske. Den Detektiv ließ er kommen, weil er von Buchhändler Geiger erpresst wird, der über Schuldscheine von Carmen Sternwood verfügt. Marlow rät ihm zur Zahlung, „wenig Geld, erspart viel Ärger“.
Doch der Alte hat seine Prinzipien und seinen Stolz. Also heftet Marlowe sich an Geigers Fersen und wartet vor dessen Haus: „Eine Armee schneckenlahmer Minuten ziehen vorüber.“ Wie er dann einen Schrei hört, einen fiesen Klang, auf den drei Schüsse folgen, wie er ein bodentiefes Fenster einschlägt und durchklettert, den toten Geiger findet und die nackte Carmen („sie trug schöne Ohrringe, sonst trug sie nichts“), gehört zu den dramatischen Höhepunkten.
Allerdings macht es sich danach bemerkbar, dass bei der notwendigen Kürzung der Vorlage auch mancher Handlungsstrang auf der Strecke bleibt und den Zuhörern gewisse Verbindungen fehlen. Doch darauf kommt es schon nicht mehr an. Noethens Stimme trägt einen über die Lücken hinweg, man lauscht ihr gern, sie steigert die Lust auf die Lektüre des Romans. Zwei Mal wurde er in Hollywood verfilmt, 1946 mit Humphrey Bogart („Tote schlafen fest“), 1978 mit Robert Mitchum. Dass „Der große Schlaf“ 2005 in die Liste der „100 besten Romane“ des Time Magazins aufgenommen wurde, verwundert nach Noethens Rezitation nicht. Viel Beifall für den Schauspieler und die wunderbaren Musikerinnen.