Porträt Siegfried Anzinger Der beste Gefährte des Löwen

Der frühere Kunstakademie-Professor Siegfried Anzinger stellt seine Arbeiten in Duisburg aus. „Geronimo“ ist eine Auseinandersetzung mit Alter und Tod.

Der Künstler und frühere Akademieprofessor Siegfried Anzinger.

Foto: Lisa, Edi und Sigi Anzinger

Der 72 Jahre alte Siegfried Anzinger war einer der wichtigsten Lehrer an der Kunstakademie zwischen 1997 und 2020. Thema seiner jüngsten Arbeiten, die den Titel „Geronimo“ tragen, sind der alte Mann und der Löwe, sind Kreuz und Totenköpfe. Der Künstler ist ein Meister der Linie und umschifft virtuos mit Blei- und Buntstift eine allzu große Traurigkeit.

„Geronimo“ wurde nach der italienischen Koseform von Hieronymus betitelt. Wer in den über 100 Blättern den großen Kirchenvater sucht, der wesentliche Teile der Bibel übersetzte, in Bethlehem ein Mönchskloster leitete und als Kunstfigur mit einem Löwen in der Zelle die Zeiten überdauerte, ist fehl am Platz. Anzinger beschreibt keine religiöse Größe und bedient kein Klischee, sondern spiegelt sein Alter Ego. Den Kardinalshut ersetzt er durch eine Glatze mit fünf Haaren an den Ohren, die Kutte wird zum kurzen Hemd, die Bibel zum Zeichenblock und die Studierstube zur alpinen Landschaft. Sein Gefährte aber, der mit ihm in permanentem Blickkontakt bleibt, ist der Löwe. Kein verschlafenes Tier, sondern ein großes mimisches Talent, ein Schauspieler vor dem Herrn.

Hieronymus und sein Löwe bilden ein Paar, gehen durch dick und dünn. Sie scheinen zwei Seiten einer Person zu sein. Zuweilen fühlt sich der Zeichner dem Löwen fast enger verbunden als dem eigenen Ich. Sie erleben, wie ein Vogel am Altar die Hostie schnappt, wie bloße Beine am Kreuz baumeln, der Kardinalshut wie eine Frisbeescheibe in der Landschaft landet. Anzinger sieht sich nicht als Historiker, nicht als Comic-Zeichner, sondern als Regisseur. „Das Buch ist für mich die Bühne, Hieronymus der Schauspieler, der dem Löwen erklärt, wie er sich drehen und wenden soll,“ sagt er.

Im Gegensatz zu Vorgängern, die sich mit Hieronymus von der Gotik bis in die Renaissance beschäftigt haben, geht es ihm auch um die Landschaft, die vertrauten Voralpen seiner Heimat, in die er seine Figuren bettet. Seine Methode: „Ich male ja nicht die Figur und dann die Landschaft dazu. Ich male an beiden so lange, bis die Landschaft die Figur ergibt und die Figur die Landschaft.“

Schaffen beeinflusst
vom Tod des Vaters

Die Serie mit den Dutzenden Blättern ist kein Comicbuch, denn der Künstler reflektiert zugleich sein Ende oder genauer gesagt, den Tod des Vaters im vorigen Jahr. So ist denn auch das Kreuz, zuweilen sogar der offene Sarg mit einem Toten im Bild. „Meinen Vater habe ich oft gesehen als alten Mann, zuletzt im Spital. Da stecke ich auch drin, im alten Mann“, sagt er.

Geronimo ist in keiner Szene ein Heiliger, eher ein Angsthase, der sich in einer Astgabel versteckt, um ungestört lesen zu können, nicht ohne Blick auf das Kruzifix, das unten wurzelt. Er ist ein Wanderer durch die Zeiten, mit dem Stock in der Hand. Eine lächerliche Figur, der nur der Zeichenblock bleibt. Ein Faulpelz auf dem Boden, in der Hand den Zeichenstift, mit einem Bein dem Mann am Kreuz einen Tritt versetzend, aber den Tod nicht wahrnehmend. Ein frommer Mann, der seinen Block auf den Altar legt.

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Doch etwa in der Mitte der Serie trägt der Held den roten Kardinalshut, sitzt am Laptop neben dem Kreuz und ahnt nicht, wie sich ihm die Schlange nähert und die Zunge ausstreckt. Ist sie nicht die teuflische Verführerin in der Bibel? Der Sündenfall selbst allerdings bleibt ausgespart.

Die Serie wurde kürzlich von der Nationalbank in Essen angekauft.