Billinger & Schulz im FFT Wann ist Mann ein Mann?
Düsseldorf · Das Choreografenduo Verena Billinger und Sebastian Schulz zeigt im FFT das Stück „Die Dunkelheit“.
Toxisch ist ein Begriff, der in aktuellen Diskussionen inflationär gebraucht wird. Beziehungen sind toxisch, also übersetzt giftig; das Verhalten eines Individuums kann toxisch sein, und Männlichkeit ist es irgendwie sowieso. „Toxische Männlichkeit“ steht für ein Rollenbild, das von einer destruktiven, aggressiven und dominanten Präsentation der eigenen Männlichkeit geprägt ist und die Unterordnung von Frauen befürwortet. Für ihr neues Stück „Die Dunkelheit“ haben sich Verena Billinger und Sebastian Schulz kritisch mit dem Konzept auseinandergesetzt. Dabei schlüpft Schulz in die Rolle des Protagonisten, der seiner dunklen Seite auf den Grund geht.
Auf der Bühne kommt das Duo dabei ohne umfangreiche Requisiten aus. Nichts soll ablenken von dem Thema des Stücks, das voller Ambivalenzen ist.
Premiere feierte „Die Dunkelheit“ im November 2024 im Frankfurter Produktionshaus Naxos. Billinger und Schulz verstehen sich als Forschende und Experimentierende im Bereich sozialer Choreografien. Dabei bringen sie die Konstitution der Körperlichkeit in Resonanz mit Gesellschaft und Öffentlichkeit. Bewusst wählen sie dafür eine interdisziplinäre Umsetzung mit Choreografie, Performance, Tanz, Installation oder Collagen.
„Die Dunkelheit“ konzentriert sich auf eine Solo-Performance von Sebastian Schulz. Er tanzt sich durch eine Gefühlspalette, die von Trauer, Verzweiflung und Wut, bis zum Exzess auf Partys reicht. Immer begleitet von wummernden Bässen und hämmernden Nightcore-Beats. Die enervierende Musik treibt ihn an, gibt ihm aber auch keine Atempause. Man möchte sich die Ohren zuhalten und ihm zurufen: „Komm mal runter, mach Pause von der Dauerparty.“
Schulz steht dabei exemplarisch für Jungen und junge Männer, die ihren Platz in einer modernen, fordernden Gesellschaft finden müssen. Sie bewegen sich dabei zwischen traditionellen Rollenbildern von Männern und den Problemen, die entstehen, wenn sie sich dabei nicht wiederfinden. Wenn sie zu sehr Macho sind, rücksichtslos im Handeln und Sprechen, sind sie von dem, was mit toxischer Männlichkeit umschrieben wird, nicht weit entfernt.
Neu ist die Verwendung des Begriffs toxisch im Zusammenhang mit Männlichkeit keineswegs, im Gegenteil. Geprägt wurde er von Frauenrechtlerinnen und der mythopoetischen Männerbewegung in den 1980er-Jahren, um damit von Dominanz geleitete Männlichkeitsideale zu benennen.
Dem Choreografenduo geht es für die Bühne weniger um den tänzerischen Ausdruck des Seelenlebens der Figur, die Sebastian Schulz in „Die Dunkelheit“ verkörpert. Vielmehr legen sie einen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit dem Körper. „Das ist etwas, das aus verschiedenen Gründen in der Tanzgeschichte lange Zeit vermieden wurde“, sagte das Performance-Duo in einem Interview. Es sei wichtiger, die Seele oder den Ausdruck eines vermeintlichen Gefühls des Tänzers zu zeigen, als seinen Körper in den Mittelpunkt zu stellen – oder diesen sogar aufs Spiel zu setzen.
Bei ihren Choreografien gehe es deshalb um die Interaktion des Körpers mit Strukturen, die durch das ständige Agieren in Raum und Zeit entstehen. Damit sei im Grunde festgelegt, wie das Individuum in Bezug zur Welt steht. Schließlich werde der Mensch ständig von vielen Systemen choreografiert und müsse seine Bewegung auch im täglichen Leben strukturieren.
Mit diesen Zusammenhängen und Wechselwirkungen beschäftigen sich Verena Billinger und Sebastian Schulz schon lange.
In „Die Dunkelheit“ tauchen sie dafür in die Untiefen digitaler Parallelwelten und gesellschaftlicher Rückzugsräume ein. Denn nur dort können Jungen und Männer Gefühlen wie Nutzlosigkeit und Ablehnung freien Lauf lassen.
Den Soundtrack dafür liefern die aufputschende Nightcore-Songs mit den charakteristischen Piepsstimmen. Sie sind ein fester Bestandteil männlich geprägter Echokammern im Netz und in der Anime-Szene.
Den Ist-Zustand nur abzubilden, ist Billinger und Schulz jedoch zu wenig. Sie wollen auch Alternativen ausloten. Deshalb tauchen irgendwann die Tänzerinnen Jungyun Bae, Magdalena Dzeco und Camilla Fiumara auf der Bühne auf, als wahr gewordene Anime-Girls. Gemeinsam mit Schulz treten sie in einen atemlosen tänzerischen Dialog, bilden immer neue Konstellationen und zeigen ihm so nicht nur schmerzliche Wahrheiten, sondern auch mögliche Auswege und Alternativen auf.
Info: „Die Dunkelheit“, Billinger und Schulz, am 24. und 25. Januar im FFT. Beginn ist jeweils um 20 Uhr. Tickets gibt es online.