Düsseldorf Nessi Tausendschön: Herrin der Süchte und Saiten

Im Kom(m)ödchen steht die Kabarettistin „Knietief im Paradies“ und glänzt musikalisch.

Foto: Würzburger

Düsseldorf. Nessi Tausendschön will es anders machen: Mit der Zugabe geht’s bei ihr los. „Welcome to Germany“ singt sie melodisch gefällig und mit zu viel Hall ins Mikrofon und schwingt sich so auf die aktuelle Flüchtlings-Debatten-Welle. Die Kabarettistin präsentiert ein paar Klischees über deutsche Frauen und Männer und endet mit dem eigenen Berufsstand: „Wir haben Comedy, das ist zwar nicht lustig, aber ganz kurz davor.“

So ist es anfangs auch in ihrem neuen Programm „Knietief im Paradies“, mit dem sie am Mittwochabend im Kom(m)ödchen Premiere feierte: Musikalisch überzeugen Tausendschön und ihr Begleiter an der Gitarre William Mackenzie zwar recht schnell, kabarettistisch aber braucht sie bis nach der Pause, um Pointen treffsicher zu platzieren und nach zwei Stunden mit herrlichem Hang zum Schwachsinn und gekonnter Gesangsimprovisation das Publikum mit diesmal verdienter Zugabe zu entlassen.

Die Pole knietief in der Sch... und mitten im Paradies hat sich Tausendschön als Klammer für ihre Mischung aus Musik und Kabarett, für ihre Betrachtungen des Lebens und seinen Absonderlichkeiten gesetzt. „Dazwischen gibt es Abstufungen wie Abwaschen, Schneetreiben oder Urlaub in Belgien“, erklärt sie bedeutungsschwer. Die Künstlerin kräuselt keck die Nase und blickt die Zuschauer in der ersten Reihe an. Unverständnis ist gewollt. In solchen Momenten zeigen sich die Stärken der bühnenerfahrenen Frau, die mit ihrem inzwischen neunten Programm von Düsseldorf aus durch Deutschland ziehen wird.

Es sind nicht die wortakrobatischen und bösartigen Höhenflüge des politischen Kabaretts, mit denen Tausendschön überzeugt, sondern der ansteckende Spaß am Bewegen außerhalb des Normalverhaltens. „Es könnte sein, dass Ausdruckstanz dabei ist“, kündigt sie eine Musik-Kreation der beiden gut harmonierenden Kollegen an: Er spielt mit geschlossenen Augen virtuose Grooves auf der Gitarre und dem Omnichord, sie verdreht Körper und Augen, um dann mit professionellem Gesang einzustimmen.

Nebenbei gibt es eine Vorführung des Theremins: Ein seltenes Instrument aus dem vergangenen Jahrhundert, das über magnetische Felder Töne erzeugt, und das Frau Tausendschön mit magisch scheinenden Handbewegungen zum Klingen bringt — oder auch mal mit der Zunge wie ein verwegener Rockstar.

Gegen Jugendwahn und Konsumterror setzt sie mal empörte, mal sarkastische und mal poetische Zeilen. Den ultimativen Test für Liebesbeziehungen erkennt sie im gemeinsamen Autofahren — im Stau am Leverkusener Kreuz: Das Zucken der Beifahrerin als Paar-Stresstest, Selbstironisch porträtiert sie sich als Herrin der Süchte und trifft den richtigen Ton mit einem Heimatlied für Flüchtlinge, das sie mit osteuropäischem Akzent schnulzig schön singt: „Ich habe meinen Körper, das ist meine Heimat. Und ich recke meine Faust.“ Aufs Auge trifft ihr Auftritt als bayerischer CSU-Provinzler, den sie durch das Mikro verfremdet mit feister Männerstimme und in glasklarem Besoffenen-Idiom Stammtisch-Weisheiten verkünden lässt. Der Bogen zum Klischee des Anfangs ist so — gekonnt — geschlagen.