Oper: Sexuelle Ausbeutung im „Tiefland“
Premiere: Beklemmend aktueller Opernstoff neu in Düsseldorf.
Düsseldorf. Aktueller könnte die Story kaum sein: Ein 13-jähriges Mädchen wird von ihrem Ziehvater aus Profitsucht einem älteren Gutsbesitzer ausgeliefert, der sie jahrelang in seine Gewalt zwingt und sexuell missbraucht. Sogar als er eine reiche Erbin heiraten muss, um seine Finanzen zu sanieren, gibt er sie zum Schein einem einfältigen Schafhirten zur Frau, um auch weiterhin sexuell Zugriff auf sie zu haben.
Eugen d’Alberts "Tiefland" ist eine packende Oper, die jetzt auch in Düsseldorf Premiere hatte. Elmar Fulda geht in seiner Inszenierung ganz von der Opferrolle der Marta aus. Die Szenerie verlegt er zumindest optisch ins Heute: Bühnenbildner Florian Parbs siedelt Martas Verlies in einem Holzverschlag an, der wie eine Bauhütte aussieht. Durch Luken gelangt man ins Innere. Es gibt kein Entkommen. Eine Zugbrücke regelt den Zugang. Hier hat nur einer alle Fäden in der Hand: Don Sebastiano.
Dieser brutalen Welt des Tieflandes setzt d’Albert eine unverdorbene Berglandschaft entgegen, in der Schafhirt Pedro zuhause ist. Der beschützt seine Schafe unter Einsatz seines Lebens vor räuberischen Wölfen. Als er das Spiel seines Herrn und die Häme der Dorfbewohner durchschaut, tötet er seinen Herrn und kehrt mit Marta in die Berge zurück.
Hier greift die Regie etwas daneben. Sie ironisiert die Naturidylle, bevölkert sie mit kurzhosigen Waldschraten, die in Zelten hausen. Beim tödlichen Duell zwischen Herr und Knecht fährt sie lärmig den Bühnenapparat hoch, weil sie nicht an die ursprüngliche Kraft dieses Hirten glaubt, der solchen Zauber gar nicht benötigt.
Dabei hat die Rheinoper mit Alfons Ebertz eine nahezu ideale Besetztung für den Pedro gefunden. Im Vorspiel tut er sich im Piano der höheren Register noch etwas schwer. Doch sobald er richtig loslegen kann, schmettert er geballte Töne in den Raum. Auch vom Typus her mimt er den naiven Naturburschen mit fesselnder Glaubwürdigkeit.
Stefan Heidemann steht ihm als Sebastian an Stimmkraft nicht nach. Mit despotischem Charisma bannt er das gesamte Dorf unter seine Knute. Die Nötigung, die er auf Marta ausübt, ist physisch erlebbar. Nur manchmal drängt er aus dem Dirigat heraus, bleibt nicht synchron und verschenkt sogar die berühmte Arie "Hüll dich in die Mantilla" um Nuancen.
Marta ist der Angelpunkt der Oper. Angelegt ist die Rolle als eine attraktive, selbstbewusste Frau, die auf zwei Männer wie ein Magnet wirkt. Wo man sie nur als geschundenes Opfer darstellt, geht die Rechnung nicht auf. Carol Wilson wirkt von der Gestalt und ihrem Spiel her zu verhärmt, kann aber auch stimmlich nicht gegenüber ihren Partnern bestehen. Wenn ihre Sehnsucht in die Berge darin besteht, auf einen Stuhl zu steigen, lässt die Regie sie auch da im Stich.
Die Offenbarung des Abends aber war fraglos Hans Wallat. Im hohem Alter entfacht er bei den Düsseldorfer Symphonikern ein Feuer und eine Leidenschaft, wie man sie lange nicht mehr gehört hat. Auch wenn man die Inszenierung nicht schätzt, sollte man sich das mitreißende Hörerlebnis auf keinen Fall entgehen lassen.