Schütte-Pavillon Thomas Schütte präsentiert eigene Show: Lauter Köpfe
Neuss-Holzheim · Der Düsseldorfer Bildhauer zeigt in seinem Pavillon bei der Raketenstation in Neuss eine sensationelle Ausstellung. „Köpfe“ nennt er das Defilee dieser individuellen und doch auch typisch Schütte‘schen Gesichter.
Thomas Schütte, Weltstar und Mäzen der Künste, schenkt der Öffentlichkeit mit seinem Pavillon bei der Raketenstation den schönsten Raum. Hier tastet das Oberlicht die Skulpturen so sensibel ab, wie es kein Museumslicht kann. Zu seinem 65. Geburtstag präsentiert er eine eigene Schau. „Köpfe“ nennt er das Defilee dieser individuellen und doch auch typisch Schütte‘schen Gesichter. Was sie zu etwas Besonderem macht, ist der latente Bezug zum Ich des Künstlers, zu diesem unbehausten Menschen, der jede Katastrophe, Trauer und Liebe per Daumendruck seinen Geschöpfen einprägt. Eine Sensation ist dies auf dem platten Land.
Das Memorial für den unbekannten Künstler
Kaum hat der Besucher das Oval betreten, wird er von einer Bronze unter der Kuppel angezogen. Auf einer stählernen und rostigen Tonne steht die Büste eines bärtigen Alten. Eine Art Jesuskopf. Er hält die Hände hoch, aber nicht zum Segnen. Es ist, als erhebe er sich aus dem Erdboden und suche selbst um Hilfe. „Denkmal für den unbekannten Künstler“ nennt Schütte die Arbeit von 2011. Sie basiert auf einem Fundstück. Das Werk eines No Name also, mit Haaren wie da Vinci und mit Augen, wie sie nur Schütte ins Gesicht bohren kann.
Unwillkürlich erinnert diese Büste auf der schrägen Tonne an den „Mann im Matsch“, mit dem sich einst der Akademie-Absolvent in seinem Düsseldorfer Atelier herumschlug, weil der kleine Kerl nicht stehen bleiben wollte und deshalb im Untergrund befestigt wurde. Ein Symbol des tragischen Versagens ist auch das jetzige Standbild. Ein Memorial auf jeden Künstler, der sich täglich aus all den menschlichen und technischen Katastrophen in die Höhe ziehen muss. Beiden Figuren, seinem Matschmännchen wie dem Fundstück, hat er nun die große Form gegeben. Sein Erstling steht inzwischen als leicht verträumtes, aber übermannshohes Alter Ego in Schüttes Geburtsort Oldenburg.
In den Köpfen der Ausstellung geht es nicht um Charaktere, höchstens um die heidnische Geste einer christlichen Glaubensvorstellung. Zu sehen sind Zombies und Wichte, Glasköpfe und Dickköpfe, Odalisken und Zusammengefallene, Keramiken, Bronzen und stählerne Plastiken. Sie sind ernst und eindringlich, wirken zuweilen lapidar, scheinen zu spotten, sich selbst zu entblößen, aber auch fremde Blicke abzuwimmeln.
Ein Keramikkopf mit orange-farbiger Glasur wurde kürzlich fertig. Er zeigt das Porträt einer selbstbewussten Schönheit. Geradezu liebevoll hat der Künstler die eng anliegenden Ohren im streng gekämmten Haar geformt, den Oberkörper aber frontal angeschnitten, damit ihm niemand zu nahe kommt. Schütte erklärt fast lapidar auf die Frage, warum nun plötzlich ein so wundervoller Frauenkopf entstanden ist: „Das muss man auch mal machen. Köpfe herzustellen, ist leicht. Aber schöne Köpfe sind schwerer als andere.“ Unwillkürlich fühlt man sich an seine stählernen Frauen erinnert, die er prügelt, stößt, verbeult und deformiert. Und nun dieses Sinnbild für eine Person, die man nur bewundern, nicht berühren darf.
Seit 1988 arbeitet er mit dem Keramikfachmann Niels Dietrich zusammen, wenn es um den Ton geht. Wie leicht er inzwischen mit dem weichen Material umgeht, wie schnell er jede emotionale Geste umsetzt, wie bravourös er mit den Glasuren hantiert, die der Skulptur ein neues Leben geben! Jeder Gefühlsregung geht sofort in die keramische Figur über.
Vor sechs Jahren nahm er bloße Tonklumpen und setzte ihnen mit minimalen Rissen und Quetschungen zu, stellte sie schräg, so dass in der Kante die Nase gleich mitgeliefert wird. Höchstens eine Delle in der Augenpartie, ein Schlitz für den Mund, mehr nicht. Er hat längst gelernt, sehr effektiv zu arbeiten.
Entdeckung von Kindsköpfen und Dickköpfen aus dem Depot
Beim Aufräumen im Atelier kramte er einen großen Keramikkopf von 1993 hervor. Damals hielt er ihn für verunglückt und verstaute ihn mitsamt zweier Antennen, die an Teufelshörner erinnern, im Depot. Nun hat er ein Meisterwerk wiedergefunden, in den Gesichtspartien wie aufgeplatzt. Ein Dickkopf mit feinen Lippen. Und ein gekonntes Spiel mit der dunklen Glasur auf dem rot gebrannten Ton.
Auch die „Skizzenbücher“ von 2006 tauchen wieder auf. Wer meint, er könne nun in den geheimen Tagebüchern herumschnüffelt, hat Pech gehabt. Schüttes Bücher sind nicht-zugängliche Objekte. Im selben Jahr entstanden auch „Fratzen“ aus bloßen Tonplatten. Minimal in den Zügen, wirken sie dennoch beredet, sind mal ausgehöhlt wie Totenköpfe, mal Kindsköpfe. „Es geht ganz flott in diesem Material“, kommentiert er.
Glasköpfe entstanden 2013 in den Berengo-Studios in Murano. Wie ein Lockvogel wirkt ein lilafarbener Kopf. Von vorn ein fast reales, aber transparentes Gesicht. Das große Staunen kommt beim Betrachten der Rückseite. Da wurde zunächst die Form geblasen, dann eine Silberschicht aufgelegt und schließlich die Skulptur mit kompaktem Glas geschlossen. Der Hinterkopf wirkt nun wie eine Maske, spielt mit Positiv und Negativ. Ein Vexierspiel, das Schütte so liebt.
Eine Schau, die man nicht versäumen sollte. Und im Mai wird er im Düsseldorfer Hetjens-Museum lauter taufrische Keramiken zeigen. Man darf auch darauf gespannt sein.