FFT Quietschbunter Kult der Langsamkeit

Das neue Stück von Billinger und Schulz im FFT ist reich an Bildern, Farben und Tanz. Sie zelebrieren die Zeitlupe, können aber auch aufdrehen.

Foto: Florian Krauss

Düsseldorf. Sie schweben in Ballettschritten über die Bühne, mit auswärts gerichteten Füßen. Drei Männer und zwei Frauen. Anfangs ist es wie im Ballettsaal, sie strecken ihre Beine bis in die Zehenspitzen, machen sich warm, indem sie ihre gestreckten Beine gezielt vorwärts und rückwärts pendeln lassen. Fehlt eigentlich nur noch die Stange.

Nur allmählich verändern sich die fünf Bewegungskünstler in „Unwahrscheinliche Kreaturen“. Mit kiloweise Farben bestreichen sie ihre Körper und mutieren zu „Unlikely Creatures“. So der Titel des neuen Tanzstücks von Verena Billinger und Sebastian Schulz, das sie jetzt im Forum Freies Theater, Jahnstraße, erstmals präsentierten.

Reich an Bildern, intimen Situationen, Tanz und Farbe — so gelingt dem ungewöhnlichen und mehrfach preisgekrönten Choreographen-Duo auch diese Uraufführung, die im April, wie üblich, im Mousonturm Frankfurt zu sehen sein wird. Denn zwischen dem Rhein und Main pendeln die beiden Düsseldorfer (sie 32, er 29), die seit der Schulzeit am Gymnasium Gerresheim als Künstler-Duo (aber nicht als Paar) auftreten, seit mehreren Jahren.

Ging es in früheren Produktionen beispielsweise ums Knutschen und Küssen in der Öffentlichkeit und darum, wie Zuschauer (auch im Theater) darauf reagieren und die Hemmschwelle überwinden lernen (oder auch nicht) - so führen sie in „Unlikely Creatures“ zunächst in ein eigenwilliges Laboratorium, wo Tänzerbewegungen (Arme, Beine, Gelenke, Kopf, Hals, Becken und Schulter) auseinandergenommen werden. Wie mit einem Seziermesser zerlegen sie Schritte des klassischen Balletts oder des modernen Party- oder Disco-Dance. Nur selten tanzen sie in Normaltempo oder bauen wie Artisten in einer Revue mit ihren Körpern Türme.

Fünf handverlesene Performer (Frank Koenen, Judith Willem, Jungyun Bae, Ludvig Daae und Nicolas Niot) zelebrieren meist einen Kult der Langsamkeit. In Zeitlupentempo — mal in Stille, dann wieder zu munterer Pop- oder zu röhrender Rock-Musik — schreiten, springen oder drehen sie. Und erscheinen zunächst wie dressierte Geschöpfe. Doch Ballerinos und Ballerinen stehen, wenn sie gerade nichts auf der Bühne zu tun haben, am Rande aufgereiht. Aus einem Berg von Kleidern, Unterwäsche und Schuhen wählen sie gezielt aus — Sandalen, Stiefel, Turnschuhe oder blinkende LED-Sneakers. Was die Kleidung betrifft, halten sie sich zurück. Schlüpfen sie anfangs noch in biedere Turnhosen, Shorts und Shirts (in extrem langsamem Tempo), so zeigen sie nach 30 Minuten immer mehr Haut. Durchsichtige Stoffe weichen, Badehöschen und Bikini. Dann laufen sie splitterfasernackt über die Bretter, kriechen oder wälzen sich über oder auf dem Boden.

Als Naturwesen wirken sie noch ‚wahrscheinlich’; doch dann cremen sie sich mit farbiger Schmiere ein. Immer ‚unwahrscheinlicher’ wird es dann, solchen Gestalten in der Wirklichkeit zu begegnen. Genüsslich streichen sie mit Rot, Pink, Türkis oder Gelb über Arm, Schenkel, Busen oder Schulter. Ein Akteur treibt es auf die Spitze, nimmt den Farbtopf, streicht sich von Kopf bis Fuß mit schwarzer, (vermutlich) atmungsaktiver Paste ein und msicht sich dann wieder in die Gruppe. Aparte, informelle Farb-Gemälde (manchmal im Stile von abstraktem Expressionismus oder Action-Painting) entstehen, sobald sie mit den bemalten Körperteilen aneinander klatschen oder auf den weißen Leinwand-Boden fallen, sich darüber drehen oder, wenn die bemalten Leiber sich ineinander verkeilen oder verknäueln.

Verwegen mag die Mischung aus Ballett, Modern und Video-Dance mit bemalten Körpern ja sein. Doch die fünf Performer führen in so viele Regionen und beflügeln derartig die Fantasie, dass keine Sekunde Langeweile aufkommt. Eine Seltenheit in der Performance-Szene.