Konzert Russische Seele und französischer Esprit
Düsseldorf · Beim Konzert der Russischen Nationalphilharmonie unter Spiwakow glänzte auch der Pianist Lucas Debargue.
Gibt es einen spezifisch russischen Klang? Oder einen typisch französischen Tonfall in der Musik? Wenn es nach den Komponisten geht, so gibt es schon Auffälligkeiten, die sich aber nur schwer in Worte fassen lassen. Gibt es zahlreiche Ausnahmen, die immer wieder die Regel bestätigen, so ist die Musik russischer oder französischer Komponisten für gewöhnlich schon identifizierbar. Doch gilt dies auch für Orchester? Und vor allem, können etwa russische Orchester ihren Tschaikowsky, Prokofjew oder Schostakowitsch besser, authentischer, leidenschaftlicher, ja russischer spielen als andere? Es mag einem das Gefühl beschleichen, dass man sich mit derartigen Überlegungen gehörig auf Glatteis begibt. Und durchaus sind solche Zuschreibungen problematisch, andererseits steckt in jedem Mythos, in jeder Fiktion auch bisweilen eine gehörige Portion Wahrheit.
In unserem Fall jedoch wurde sowohl das Für als auch das Wider dieser These auf außergewöhnliche Weise augenscheinlich. Die Russische Nationalphilharmonie – 2003 durch das russische Kulturministerium gegründet – gastierte bei Heinersdorff in der Tonhalle. Mit pur französischem und auch russischem Programm. Unter der Leitung ihres Chefdirigenten, dem Geiger Wladimir Spiwakow, vereinte man sich mit dem französischen Pianisten Lucas Debargue, um neben fulminant süffigem Orchesterrepertoire auch Ravels Klavierkonzert in G-Dur musikalisch zu huldigen.
Nach Massenets Ballettmusik aus „Le Cid“, bei der schon die interpretatorische Zielrichtung von Orchester und Dirigent deutlich wurden, gehörte das Podium der rasanten und zugleich so sinnlichen Verschmelzung von Impressionismus – wobei dieser Begriff hier deutlich seine Schwächen zu Tage treten lässt – und Jazz. Dieses unvergessliche Leitmotiv aus Ravels, von der Warte der Fertigstellung her, zweitem Klavierkonzert packt den Hörer sogleich. Entführt ihn in eine Klanglandschaft voller packender Stationen.
Spiwakow leitet sein Orchester mit kultivierter Geste, setzt in seinem Dirigat bedachte Akzente, wählt mächtige Tempi. Die Musiker entfalten unter seinen Händen eine frappierende Zugkraft. Kraftvoll, satt, voller mal süßlicher, mal bitterer, wenn nötig gepfefferter Geschmäcker. Dies ergibt sich nicht zuletzt durch das überaus emotionale zugleich aber auch stringente Spiel aller Instrumentalisten, insbesondere aber der Streicher. Fast möchte man hin und wieder denken, sowohl „Le Cid“ als auch das Ravel-Konzert seien eigentlich von sowjetischen Meistern komponiert worden. Aber es mag sein, dass hier mehr die Fantasie die Ursache der Wirkung ist als tatsächliche hörbare Spuren.
Doch nun zu Debargue, dem hoch gewachsenen, etwas fragil anmutenden jungen Mann mit den schmalen langen Fingern. Sein Spiel ist getrieben, getrieben indes von einer Präzisionslust, bei der es herrlichste Freuden breitet seinen hoch gestellten Fingern auf der Klaviatur zuzusehen. Der Klang ist fein, perlig, glänzt gehörig, ist aber nicht so durchdringend wie bei manchen anderen Tastenmagiern. Seine feinfühlige Seite konnte er mehrfach unter Beweis stellen, auch in der schwebend melancholischen Zugabe „Nostalgie du Pays“ vom Polen Miłosz Magin.
Nach der Pause sorgte das Programmheft für Verwirrung. Die Reihenfolge der gespielten Tschaikowsky-Werke war vertauscht und der als Nussknacker-Suite (op. 71a) angekündigte Part erwies sich als eine individuelle Zusammenstellung aus dem zweiten Akt des Balletts, der auf die Dornröschen-Suite op.66a folgte. Entzückendster russischer Klangzauber – in schwelgerischem Ton. Natürlich Publikumslieblinge wie die Sätze „Kaffee“, „Tee“ oder auch „Trepak“. Letzterer war nicht immer ganz zusammen. Krönend der Blumenwaltzer und das Pas de Deux. Auf enthusiastischen Applaus folgten zwei Zugaben: Prokofjew und der Walzer aus „Masquerade“ von Chatschaturjan.