Sonny Rollins: „Jazz kommt aus dir heraus“

Interview: Der große Saxophonist Sonny Rollins über die politische Dimension und die Pausen seiner Musik. Morgen spielt er in der Tonhalle.

Düsseldorf. Herr Rollins, wird es mit den Jahren immer schwerer auf Tour zu gehen, da das Publikum stets aufs Neue ein ganz besonderes Konzert erwartet?

Rollins: Ja, das Publikum erwartet eine Menge von mir. Einerseits ist das eine gute Sache, auf der anderen Seite bedeutet es eben auch, dass ich mich noch mehr anstrengen muss.

Und wie schützen Sie sich als Künstler vor diesen Erwartungen?

Rollins (lacht): Das einzige, was ich tun kann, ist mich voll und ganz auf all die Bestandteile eines erfolgreichen Konzertes zu konzentrieren. Wir spielen Jazz, und Jazz lebt nun einmal von der Spontaneität und hängt stark davon ab, wie sich die Menschen fühlen - es ist eine sehr viel persönlichere Musik als etwa die Klassik. Denn Jazz kommt unmittelbar aus dir heraus: Wir gehen eben nicht jeden Abend auf die Bühne mit Noten oder einer gemeinsamen Interpretationsvorstellung - Jazz ist eine Musik der Seele, und so wie sich unsere Stimmung verändert, verändert sich auch die Musik jeden Tag, ja jede Minute.

Vor zwei Jahren haben Sie in der "Zeit" gesagt, Sie wären gern ein besserer Saxophonspieler. Nun würde jeder sagen, Sie sind doch längst der beste Saxophonist...

Rollins: Natürlich bin ich sehr glücklich, dass die Leute mich für einen großartigen Saxophonisten halten. Doch muss ich mich an meinen Vorstellungen orientieren und nicht an denen anderer - täte ich das, wäre ich nicht dort, wo ich heute bin. Wenn ich mein Saxophon in die Hand nehme, versuche ich, meine Grenzen zu erreichen - und nach meiner Vorstellung habe ich die noch längst nicht ausgereizt.

Aber ist solch eine ständige Unzufriedenheit mit dem eigenen Spiel nicht schwer zu ertragen?

Rollins: Das ist das Los eines Musikers - auch wenn es hart ist. Es ist meine Traurigkeit, die ich zu durchwandern habe, das ist mein Leben. Ich habe den ganzen Tag Musik in meinem Kopf und muss versuchen, mein Saxophon noch besser zu spielen: Das ist meine Aufgabe.

Diese Musik in Ihrem Kopf: Hat die sich über die Jahre verändert?

Rollins: Oh ja, natürlich. Als Menschen reagieren wir doch auf die Welt: Das ist der Grund für die unterschiedlichen Stile und Vorlieben in jeder Generation. Meine Kinder etwa mögen meine Musik nicht, die haben ihre eigene Vorlieben wie etwa HipHop. Was indes über alle Generationen hinweg bleibt, ist die Essenz in der Musik eines Beethovens oder auch eines Charlie Parkers - doch dauert es eben seine Zeit, bis auch unsere Kinder das begreifen.

Nun wird in unserer Zeit alles immer schneller. Gerade aber in der Musik und auch im Jazz ist die Pause von großer Bedeutung - doch hat das Publikum überhaupt noch die Muße für solch eine Pause?

Rollins: Das ist meine Aufgabe als Musiker: Ich muss die Menschen in meine Welt hinüberziehen. Wenn sie in ein Sonny Rollins-Konzert kommen, dann müssen sie auch bereit sein, in meine Welt einzutauchen. Und dann kann ich auch festlegen, wie lange die Stille in einem Stück anhält.

In früheren Zeiten besaß Jazz eine politische Aussagekraft - hat er diese heute noch?

Rollins: Eine sehr interessante Frage... Jazz war eine politische Musik, weil es in den USA in erster Linie mit einer Minderheit assoziiert wurde. Diese Minderheit der Farbigen hat etwas etabliert, das dann von der Mehrheit übernommen wurde - und in dieser Hinsicht hat Jazz natürlich eine politische Bedeutung. Für mich persönlich geht mit dem Jazz immer ein Geist der Freiheit einher.