Düsseldorf Tanzhaus NRW: „Wir wollen den Körper feiern, wie er ist“
Choreographin Doris Uhlich stellt 20 nackte Tänzer auf die Bühne. Provozieren will sie damit nicht, wie sie im WZ-Interview verrät.
Düsseldorf. 20 Tänzer auf einer Bühne. Alle splitterfasernackt, durchgängig. Dazu eine Wiener Choreographin, die „die Nackerten“ jenseits von Provokation und Ideologie in Szene setzt. Und als DJane selbst auf der Bühne steht, ebenfalls unbekleidet. Soweit die Grundidee von „More than naked“. In der kommenden Woche ist die Nackt-Inszenierung im Tanzhaus zu sehen, eröffnet die neue Spielzeit. Im WZ-Interview spricht Choreographin Doris Uhlich über geflashte Zuschauer, ein Gastspiel in Jerusalem und warum sie alles, nur nicht provozieren will.
Was fasziniert Sie an der Thematik Nacktsein?
Doris Uhlich: Die gesellschaftliche Rolle, die Nacktheit spielt, finde ich spannend. Angefangen bei der Freikörperbewegung in den 1920er-Jahren oder den 68ern, denen es darum ging, sich von der prüden Elterngeneration abzusetzen. Ich persönlich finde einen nackten Körper wunderschön und inspirierend zugleich. Bei „More than naked“ geht es auch darum, dass sich die gängigen Vorstellungen von Schönheit verschieben sollen. Da dürfen Busen fliegen und Popos wackeln, egal wie groß oder klein sie sind.
Die nackten Tänzer auf der Bühne sollen aber nicht als Provokation aufgefasst werden?
Uhlich: Überhaupt nicht. Anhand des Titels weiß man ja schon, was einen erwartet. Wer keine Nackten sehen will, kommt erst gar nicht. Eine Provokation wäre es dann, wenn man die Zuschauer unvorhergesehen damit konfrontiert. Wir wollen den Körper so feiern, wie er ist. Fernab der Pornokultur. Das hat eher was Verspieltes, aber nichts Provokatives.
Wie reagieren die Zuschauer denn?
Uhlich: In den ersten Minuten sind viele erst mal geflasht. So viele Menschen auf der Bühne, und dann auch noch nackt. Aber das legt sich schnell. Weil sie schnell begreifen, dass da auf der Bühne etwas ins Rollen gebracht wird, was angezogen keinen Sinn machen würde. Und bei vielen löst es auch den Impuls aus: Das, was die auf der Bühne machen, will ich auch machen.
Sie wurden mit dem Stück auch nach Jerusalem eingeladen…
Uhlich: Genau. Da war schon die Intention der dortigen Festivalmacher klarzumachen: Wir lassen uns nicht einschränken. Wir laden die Nackten ein. Das hatte eine hochpolitische Komponente. Aber die Kritiken waren durchweg positiv. Und von den Zuschauern gab es Standing Ovations. Grundsätzlich gilt: Je verschleierter eine Gesellschaft, desto mehr wird unser Stück im Vorfeld in der Berichterstattung diskutiert oder als Sensation verkauft. Aber im Zuschauerraum sind die Reaktionen überall ähnlich.
War es schwierig, Tänzer für die Inszenierung zu finden?
Uhlich: Das Ganze ist aus Nackttanz-Workshops entstanden, die ich gegeben habe. Anfangs waren wir zu acht, in einem kleinen Kellerstudio. Den Teilnehmern hat das so gut gefallen, dass sie es rumerzählt haben. Im nächsten Jahr kamen dann 25. Diese habe ich gefragt, und die meisten hatten Lust und Zeit.
Sie haben eine „Philosophie des Fleisches“ entwickelt. Was genau ist damit gemeint?
Uhlich: Unser Körper ist ein Einlagerungssystem. Ein Archiv unserer eigenen Geschichte, aber auch von der Welt, in der wir leben. Und die kann mitunter schrecklich sein.
In dem Moment, wo ich mich ausziehe und mein nacktes Fleisch in Bewegung setze, gebe ich auch ein Statement ab: Ich kann nicht warten, bis der Terror vorbei ist. Ich lebe jetzt. Und das ist mein Körper. Das hat etwas Existentielles, auch sehr Befreiendes, Hippiemäßiges.