Vor der Premiere der Rheinoper Romeo und Julia pur
Düsseldorf · Boris Blachers einstündige Kammeroper von 1943 ist ab 17. April in einer Neuproduktion der Rheinoper über die Streaming-Plattform Operavision zu sehen.
Langsam fährt die ganz in Weiß gekleidete Julia aus einer Luke im Bühnenboden nach oben ins Licht. Romeo ist nicht zu sehen. Sollte er aber, gleichzeitig mit ihr, nur auf der anderen Seite. Seine Luke bleibt jedoch wegen technischer Probleme verschlossen. So kommt es, dass die geplante Aufzeichnung der Probe zu „Romeo und Julia“ von Boris Blacher nach nur zwei Minuten um eine Stunde verschoben wird, um die Panne zu beheben. Dann geht’s weiter. Der Conferencier, mit roten Locken, hohem Kragen und historischem Gewand eine Kopie von Queen Elizabeth I., klettert erneut auf die Bühne.
Er kauert nieder und berührt den Vorhang, der sich hebt und die Ausstattung von Heike Scheele sichtbar macht: hölzerne Gerüste und eine umlaufende Galerie, in die acht Türen münden. Aus ihnen tritt der Chor, der in dem Drama über das berühmteste Liebespaar der Welt wechselnde Rollen übernimmt.
Die Duisburger Oper war Schauplatz für die Filmaufnahme der Inszenierung von Manuel Schmitt, zu empfangen als kostenloses Streaming über die Plattform Operavision. Eine von etwa 48 Vertonungen der Tragödie, schätzt der Regisseur. Aber eine besondere: „Das bis heute recht unbekannte Werk wurde 1943 in einer Extremsituation komponiert“, erzählt er. „Blachers einstündige Kammeroper ist extrem verdichtet, nah an Shakespeare.“ Uraufgeführt wurde sie dennoch erst in den 50er-Jahren in Salzburg. Die Handlung konzentriert sich ganz auf das Liebespaar. „Dadurch entsteht eine Art Laborsituation“, sagt Manuel Schmitt, „so pur und intensiv, wie es eben nur geht.“
Bei seinem Konzept musste der Regisseur strenge Corona-Regeln beherzigen. „Wie soll das gehen, die großen Liebenden, und dann auf Abstand?“ erzählt er. Bald wich seine Skepsis einer Erkenntnis: „Die beiden finden ja auch im Stück nie zusammen. Nicht einmal im Tod sind sie vereint, jeder stirbt einsam.“
Seine Neigung zur Opulenz habe er ausblenden müssen, sagt Manuel Schmitt. „Es tut dem Stück nicht gut, wenn ihm zu viel übergestülpt wird. Man spürt förmlich, wie es alle nicht notwendigen Mittel an den Rand drängt.“ Minimalistisch sind auch der achtköpfige Chor und die Orchestrierung mit neun Musikern. Der Conferencier entspricht dem Shakespeare’schen Prolog, seine Chansons im Stil der 30er-/40er-Jahre teilen die Oper in drei Akte. In der Musik finden sich Anklänge an den Jazz.
Dann kam der Tag, an dem Manuel Schmitt seine fertige Inszenierung, die erste für die Rheinoper, in die Hände eines anderen legen musste. Bildregisseur Friedrich Gatz münzte sie „streamingtauglich“ um. „Mein Arbeitsbereich ist die Schnittstelle zwischen Kunst und Digitalisierung“, erklärt er. „Dafür ist eine gewisse Abgrenzung zum Regisseur notwendig. Es liegt in meiner Verantwortung, was der Zuschauer sieht.“
Sieben Kameras erfassten das Bühnengeschehen nach einem minutiös festgelegten Plan. Auf seinem Monitor hatte Friedrich Gatz immer alle Bilder im Blick – um dann zu entscheiden, wie sie harmonisch miteinander kombiniert werden konnten. An das Regiekonzept habe er sich aber gehalten, versichert er. Was Schmitt bestätigt: „Wir stimmten uns bei den einzelnen Szenen ab und waren uns immer einig. Ein aufregender Prozess auch für mich. Jetzt führt Friedrich Gatz das Publikum durch meine Inszenierung.“
Der Bildregisseur arbeitet für Oliver Beckers Berliner Unternehmen OTB Medien, den langjährigen Partner von Operavision und spezialisiert auf Kultur-Streamings. „Es reicht nicht, etwas abzufilmen, wir müssen die Handlung übertragen, und zwar so, dass sie selbst am Smartphone eine anspruchsvolle Qualität hat“, erläutert Becker. „Was heute in Duisburg stattfindet, ist global zugänglich, meist wird schon bei den Ausstrahlungen lebhaft kommuniziert.“ Das reizt auch Schmitt, der im Wohnzimmer selbst gerne Klassik streamt: „Mir gefällt die Vorstellung, dass die ganze Welt meine Inszenierung sehen kann.“