Der Sprayer und Zeichner Harald Naegeli Ein bisschen kriminelle Energie
Düsseldorf / Zürich · Er wurde verfolgt und inhaftiert als „Sprayer von Zürich“ – und gefeiert als Künstler. Ein feiner Band mit Texten und Interviews von Harald Naegeli zeichnet ein spannendes Porträt des 84-Jährigen.
Es soll bei einem seiner vielen Ausstellungsbesuchen passiert sein - vor einer Collage von Kurt Schwitters. Wie alle anderen Besucher ließ sich Harald Naegeli vom Bildrätsel verzaubern, bis ihn aus dem Werk jemand geradewegs anzuschauen schien. Till Eulenspiegel war es, der hinter der geometrischen Komposition hervorschaute, ihn diabolisch und schalkhaft in den Blick nahm. In diesem wundersamen Moment soll es also um Harald Naegeli geschehen sein. Jedenfalls wurde Till fortan zum treuen Begleiter des Schweizer Künstlers. Und als dieser wütend durch die aufgeräumten Betonlandschaften moderner Städte ging, habe sich Till Eulenspiegel teuflisch zu Wort gemeldet: „dann ist vielleicht eine kleine sprayzeichnung gefällig“, flüsterte mir eulenspiegel ins ohr, drückte mir die dose in die hand, gab mir einen freundlichen klaps auf die schultern und verschwand.“
Die Legende von der „Geburt“ des gesuchten und geschnappten, tatsächlich inhaftierten und viele Jahre später hoch dekorierten „Sprayers von Zürich“ hat Naegeli selbst kolportiert. Eine von vielen Geschichten und Zeugnisse rund um seine Person, mit denen der Künstler selbst gerne an der eigenen Biografie mitstrickt. Davon gibt jetzt ein herrlicher Band mit Texten und Interviews von Harald Naegeli Auskunft, dessen Titel auch das Poetische in seinem bildnerischen Werk zur Sprache bringt: „Den Vogelflug, die Wolkenbewegung misst man auch nicht mit dem Zollstock!“
Dass Harald Naegeli auch als halber Düsseldorfer Künstler durchgeht und er der Landeshauptstadt so manche Sprayarbeit vermachte, liegt auch an der Verfolgung durch die Behörden der Stadt Zürich. Auf der Flucht vor der Schweizer Polizei hatte er zunächst Unterschlupf in Oberkassel bei Joseph Beuys gefunden, der ihn zusammen mit Klaus Staeck später auch zur Grenze begleitete, als der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Künstler 1984 an die Schweiz ausgeliefert wurde.
Vier Monate lang saß Naegeli im Gefängnis von Winterthur, ehe er die Schweiz aus „politischen Gründen“ verließ. 35 Jahre lebte und arbeitete er im Düsseldorfer Exil, ehe vor vier Jahren zur großen Überraschung vieler der Künstler wieder nach Zürich zurückkehrte, in jene Stadt also, die ihn nach seinen Worten doch anwiderte. Und hatte er nicht die ganze Schweiz als ein großes „Trauerhaus“ beschrieben: „reiche leute, aber bettler vor dem leben?“
35 Jahre lang lebte Harald Naegeli im Düsseldorfer Exil
Die Annäherung wird – wie könnte es anders sein – grotesk: Er darf jetzt ganz offiziell im Turm des Zürcher Großmünster einen Totentanz sprayen, muss die Arbeit aber abbrechen, weil er ein klein wenig die vereinbarte Fläche hinaus seine schauerlichen Figuren sprayte. Dann verleiht ihm die Stadt Zürich den mit 50 000 Franken dotierten Kunstpreis der Stadt, behelligt ihn aber dennoch mit ein paar Anzeigen wegen Sachbeschädigung an öffentlichen Gebäuden. Zürich wird wohl der Ort der letzten Phase im Leben des heute 84-Jährigen sein; doch eine Versöhnung zwischen Stadt und Künstler darf ausgeschlossen werden.
Natürlich ist mittlerweile das Gerangel zwischen Verbot und Ehrung zu einem großen Spiel geworden zwischen den Behörden und einem Künstler auf nächtlichen Streifzügen. Seine Kunst hat einen solchen Staatswiderstand nicht nötig; aber ein bisschen Provokation schadet ihr auch nicht. Im ganzen Wirken von Harald Naegeli kommt sein utopischer Geist zum Vorschein, seine Widersprüche, die nicht dazu da sind, aufgeklärt zu werden. So sollen Kunst und Gestaltung im Vordergrund seines Arbeitens stehen, und doch könne nach seinen Worten eine gewisse „kriminelle Energie“ nicht schaden, „um einen Weg einzuschlagen, der noch nie gegangen worden ist“. Vielleicht, sagt er in einem Interview, „brauche ich Unbehagen“.
Seine „Sprayanschläge“ sind und bleiben Revolte gegen als Philister und Saubermänner und Bürger, wie er schreibt, die „nichts haben als die pleite ihrer leblosigkeit“. Und schlummert in ihnen die Sehnsucht nach Schönheit, auch nach Erlösung von den Schrecken der Nacht. Wer Künstler ist, muss nach Naegelis Verständnis auch handeln. Im Anarchismus sieht er darum auch „einen unerlässlichen Spiegel unserer Gesellschaft“.
Auch die Kriterien für die Wahl seiner Sprayorte ist mitunter geschmeidig. Vor allem karge Betonlandschaften und seelenlose Innenstädte werden zur Fläche seiner Kunst. Dass er sich zwischendurch auch in Venedig verewigte, begründet er mit einer „glücklichen Verbindung von der Historie mit der Gegenwart“.
Es gibt aber nicht nur den so öffentlichen und lauten Künstler, sondern auch den poetischen, leisen Zeichner. In hunderten von Büchern skizziert er Menschen, Tiere, Szenen. Harald Naegeli zeichnet fast immer. Und im Zentrum seiner Atelierarbeit stehen seine großformatigen Wolkenbilder mit einer Urwolke, allesamt mit feinen Tuschstrichen geschaffen. Sie sind das Gegenteil seines Sprayens: ganz introvertiert, wie er sagt, jenseitig, mit einen kosmischen Ansatz. Auch diesen Harald Naegeli gibt es im Buch zu entdecken.