Kunst im Bilker Bunker Harald Naegeli lässt Flamingos durch Düsseldorf staksen

Der berühmte Streetart-Pionier Harald Naegeli ist Teil einer sehenswerten Ausstellung im Bilker Bunker. Der Düsseldorfer Stadtteil wird damit noch stärker zur Freilichtgalerie des Schweizers.

Harald Naegeli vor einer seiner Strichfiguren.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Gejagt, gestraft, geehrt, gefeiert: Das passierte Harald Naegeli, dem weltbekannten Sprayer von Zürich und Pionier der Streetart, nicht nur in seiner Heimat, der Schweiz, sondern auch in Düsseldorf. Besonders im Stadtteil Bilk, wo der Aktionskünstler fast 30 Jahre lebte, hat seine sprühende Fantasie Spuren hinterlassen.

Nicht alle illegalen Werke im öffentlichen Raum sind entfernt worden. Noch zehn „Naegelis“ kann man in Bilk entdecken bei einer Audio-Tour mit den Guides Anna-Barbara Neumann von der Harald-Naegeli-Stiftung und Rudolf Müller von der Literaturhandlung Müller & Böhm im Ohr. Hier huscht ein Strichmännchen, dort stakst ein Flamingo, um die Ecke ein Fabelwesen. Empfehlung: Nasskaltes Winterwetter verstärkt Begegnungen mit den mehräugigen Fantasiefiguren.

Die etwa 40-minütige Tour endet an der Karolingerstraße 84, dem einstigen Wohnort Naegelis. Sie ist die Outdoor-Aktivität der Eröffnungsausstellung im Bilker Bunker nach dessen aufwendigem Umbau „Vom Schutzraum zum Freiraum“. Dazwischen scheint Naegeli ohnehin noch rumzuspuken. Als vor zwei Monaten ein Feuerwehrschild an der Fassade abmontiert wurde, erschien darunter eine seiner Figuren, gefeiert wie die Entdeckung einer urzeitlichen Höhlenzeichnung.

Eine weitere Wandzeichnung ist dort eingeschlossen, wo die Mülltonnen stehen. Müsste Naegeli gefallen. Im Treppenaufgang des denkmalgeschützten Bunkers dann ein aktuelles hölzernes Zitat von Oliver „Magic“ Räke. Es versteht sich als Fortsetzung eines Dialogs unter Künstlern vor Ort. Beide waren bereits in den 80er-Jahren in Bilk unterwegs. Der von Naegeli inspirierte Räke versah Stadtteilwände mit gesprühten Sitzmöbeln. Naegeli setzte bei Nacht und Nebel seine Männchen drauf.

Der Schweizer versteht sein Handwerk als Protest. Der im Dezember 1939 in Zürich geborene Sohn eines Psychologen und einer Malerin ist ausgebildeter wissenschaftlicher Zeichner und in der Zeit der von Zürich ausgehenden Dada-Bewegung inspiriert von Zeitgenossen wie Arp, Schwitters, Mondrian. Schon früh versprühte er seinen Frust gegen die Unwirtlichkeit der Städte und benutzte dafür lieber Wände als Leinwand: „Meine Figuren provozieren die Menschen zum Nachdenken oder Wegputzen“, erklärte er die womöglich kalkulierte Polarisierung, die seine Aktionskunst im öffentlichen Raum hervorrief.

Ein Karton als Arche an der Hauswand: der Bilker Bunker von außen. Im Gebäude selbst ist die Ausstellung zu sehen.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Privatpersonen hatten ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt

Auf den ersten Blick unscheinbare Figuren wie Flamingos sind Markenzeichen der Arbeit von Harald Naegeli.

Foto: Bilker Bunker/Maurice Kaufmann

Als bekannter Unbekannter blieb er lange unentdeckt, bis er 1979 von einer Zivilstreife ertappt wurde, als er seine Brille suchte, die er beim Sprayen verloren hatte. 1981 wird Harald Naegeli wegen „wiederholter und fortgesetzter Sachbeschädigung“ zu neun Monaten Haft ohne Bewährung und Schadenersatzzahlungen von 200 000 Schweizer Franken verurteilt. Privatpersonen hatten da schon ein Kopfgeld von 3000 Schweizer Franken auf ihn ausgesetzt. „Schlichtwäg e fertigi Schweinerei“, urteilte ein Passant bei einer Straßenbefragung.

Naegeli entzog sich zunächst der Haftstrafe durch Flucht nach Deutschland, wo er Unterstützung von Prominenten wie Willy Brandt, Klaus Staeck, Sarah Kirsch, vor allem von Joseph Beuys fand. So kam er nach Düsseldorf. 1984 stellte er sich dann doch, saß in der Schweiz eine mehrmonatige Gefängnisstrafe ab, um seiner Heimat danach vorläufig den Rücken zu kehren in Richtung Düsseldorf.

Doch auch in der Kunststadt am Rhein musste sich der Sprayer vor Gericht verteidigen. Die NRW-Akademie der Wissenschaften und der Künste und ein Immobilienbesitzer verklagten ihn wegen zweier komischer Vögel, Flamingos, an einer Hauswand. Eine außergerichtliche Einigung lehnte der Künstler ab. Lieber ließ er sich zu einer Spende an das Kinderhospiz verurteilen und übernahm die Reinigungskosten.

Im Jahr 2020 zog es Harald Naegeli dann zurück in die Heimat, wo er mitten im Corona-Lockdown eines seiner Projekte, den „Totentanz“ in den Gassen von Zürich, um weitere Dutzende Figuren ausweitete. Prompt wurde er wieder verklagt – und noch im selben Jahr mit dem Zürcher Kunstpreis ausgezeichnet. Letzten Endes verdanke er seinen Weltruhm Richtern und Staatsanwälten, betonte er bei der Preisverleihung.