Ibsen-Stück feiert in Düsseldorf Premiere Verknallt in Figuren
Düsseldorf · Heiko Raulin spielt die facettenreiche Titelrolle in „Peer Gynt“. Am Freitag ist Premiere im Düsseldorfer Schauspielhaus.
In seiner kurzen Zeit am Schauspielhaus füllt Heiko Raulin bereits drei herausragende Rollen aus. Seit Herbst 2023 im Ensemble, beeindruckte er zunächst als Landvogt Gessler in Schillers „Wilhelm Tell“. Danach musste er als Alfred Ill in Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ für eine Jugendsünde bitter büßen. Als „Peer Gynt“ steht er nun an der Spitze eines besonderen Theaterprojekts, das an diesem Freitag Premiere feiert. Denn in ihrer Inszenierung hat Regisseurin Bernadette Sonnenbichler verschiedene Vorlagen von Henrik Ibsens Drama genutzt.
„Deutsche Fassung von Peter Stein und Botho Strauß unter Verwendung der Übersetzungen von Christian Morgenstern und Georg Schulte-Frohlinde“, heißt es im Programm. Klingt sperrig, sei aber einfach zu erklären. „Sie hat den Peer quasi auseinandergeschnitten und daraus ein neues Stück geschrieben, trotzdem bleibt alles Ibsen pur“, versichert der Schauspieler.
Es geht um einen Mann, der eine todbringende Diagnose erhält und dagegen ankämpft. Er träumt sich in verschiedene Welten, landet aber immer wieder auf dem Boden der Tatsachen und muss schließlich erkennen, dass sein Ende unausweichlich naht. „Im Reich der Fantasie benutze ich als Peer Gynt oft die gereimte Form in der Übersetzung von Christian Morgenstern“, erklärt Raulin, „für die harte Realität dagegen gilt die Prosa.“
Sonnenbichler ersann noch einen Kunstgriff. Ähnlich kostümiert, verkörpern alle sieben Schauspieler Peer Gynt. „Auf seiner abenteuerlichen Reise begegnet der Protagonist seinem eigenen Ich, mal in jungen Jahren, mal im Alter“, führt Raulin aus: „Deshalb leuchtet es auch ein, dass ein reines Männer-Ensemble auf der Bühne steht.“ Am Ende seiner Reise und damit seines Lebens muss Peer Gynt erkennen, dass er auf der Suche nach seinem eigenen Ich gescheitert ist. Wie eine Zwiebel setzt er sich aus vielen Schichten zusammen, ein Kern jedoch ist nicht vorhanden.
Viele Facetten fließen
bei Peer Gynt zusammen
Das Material von Ibsen sei sensationell, sagt Raulin. Auch der Dichter habe sich aus der häuslichen Einsamkeit in Traumwelten geflüchtet. Peer Gynts Charakter? Zwielichtig. Ein Visionär, ein Fantast, aber auch ein Lügner, der im Sklavenhandel aktiv ist und Frauen mies behandelt. „Erstaunlich, dass er dennoch gemocht wird“, wundert sich Raulin, „das fasziniert mich. Warum es so ist, will ich untersuchen.“
Bei Peer Gynt fließen viele Facetten zusammen. Wie aber kriegt man sie in den Griff? „Vielleicht ist das gar nicht das Ziel“, sinniert der Schauspieler, „vielleicht sollte man sich von ihm zutiefst verunsichern lassen und die Figur nicht ausdeuten. Viel spannender ist doch, wie Situationen und Reaktionen zustande kommen.“
Seine Arbeit an der Rolle hat stets einen ihm sehr wichtigen Aspekt. „Ich möchte dem Zuschauer keinen Beipackzettel mitliefern, wie er über die Figur denken soll. Arbeit und Vergnügen überlasse ich dem Publikum. Meine Figuren nehme ich ernst, ich versuche immer, mich in sie zu verknallen. Ich möchte sie lieb gewinnen und nah an mich heranziehen. Die Schicht zwischen uns soll möglichst dünn sein.“
Raulin (51) stammt aus dem thüringischen Meiningen. „Eine Theaterstadt, daran kam keiner vorbei“, sagt er. Das eigene Elternhaus zeigte wenig künstlerisches Interesse. Erst die Mutter einer Klassenkameradin, eine Maskenbildnerin, öffnete ihm bei einem Besuch im Theater die Tür zu einer verlockenden Welt. Als Schüler schloss er sich dem Jugendclub an, war Statist, bekam kleine Rollen und sogar ein Honorar.
Eine Lehrerin ermunterte ihn dann zum Schauspielerberuf. Tatsächlich meisterte Heiko Raulin auf Anhieb die strenge Prüfung an der Berliner Schauspielschule Ernst Busch. Es war die Zeit der Wende. Nach dem Zivildienst beim Roten Kreuz, der ihn bis nach Moskau führte, studierte er im ersten ost-west-gemischten Jahrgang und bekam gleich danach ein Engagement.
Nach fünf Jahren am Residenztheater München wählte Heiko Raulin das Leben als freier Schauspieler. Er bastelte sich 16 Jahre lang seine eigenen Spielzeiten zusammen und arbeitete an zahlreichen Theatern, darunter in Zürich, Wien, Hamburg und Berlin.