Düsseldorfer Schauspielhaus Wilfried Schulz im Interview: „Ich will gewinnen“

Donnerstag beginnt die Ära des neuen Generalintendanten am Schauspielhaus. Über seine Gefühle vor dem Start, die Mentalität der Düsseldorfer und sein Ziel für das Theater spricht der 64-Jährige beim WZ-Besuch.

Foto: Thomas Rabsch

Das Wetter treibt ihn um. Sogar nachts schaut Wilfried Schulz auf sein Handy und checkt die Prognose. Hält das Hoch bis Donnerstag nach der Premiere? Was passiert, wenn es auf das Dach vom Theaterzelt auf dem Corneliusplatz prasselt? Die Anspannung ist deutlich zu spüren, auch wenn Wilfried Schulz schon zum dritten Mal als Intendant eine Spielzeit eröffnet und eine neue Stadt erobern will.

Herr Schulz, Sie haben die Düsseldorfer beim Fest am vergangenen Samstag und auch beim NRW-Fest bereits kennengelernt. Wie kommen die Menschen auf Sie zu?

Wilfried Schulz: Am Samstag bei der großen Saisonvorschau war es pickepackevoll im Central, es gab die ersten Standing Ovations für uns. Die Düsseldorfer wollen erweckt werden.

Was fällt Ihnen auf im Vergleich zu den Dresdenern?

Schulz: Die Mentalität ist schon eine andere. Man geht leichter aufeinander zu. Vielleicht von beiden Seiten. Ich war am Sonntag auf dem Fest meiner Gemeinde in Oberkassel. Es kamen mehrere Leute auf mich zu und einer sagte: „Darf ich Sie mal ansprechen? Sie sind doch unser Intendant.“ Dieser Satz wäre in Dresden nicht gefallen. Wir arbeiten an der gegenseitigen Vereinnahmung.

Sie sagen, dass Sie Düsseldorf als entspannter wahrnehmen als Dresden, wo Sie der Pegida-Bewegung entgegengetreten sind. Was sind die wichtigen Themen hier?

Schulz: Ich glaube schon, dass Reichtum und Armut Themen sind. In der Zeitung steht, wie arm diese Stadt ist. Was man aber erst einmal sieht, ist der Reichtum. Man ahnt, wie weit das auseinanderfällt, wenn man mit Kirchengemeinden spricht oder mit Projekten an prekäre Orte geht. Dann kommen Diskussionen auf, in denen wir auch merken, wie weit das Theater entfernt ist. Ich frage mich: Ist Düsseldorf eine Gesellschaft oder sind es mehrere? Unser Ansatz ist, die Communities einer Stadt zusammenzubringen. Das wird spannend.

Die AfD liegt laut jüngster Befragungen auch hier bei etwa 13 Prozent.

Schulz: Ja, das habe ich gelesen. Mich bewegt, wie eine Stadt wie Düsseldorf oder ein Land wie NRW mit so viel Erfahrung mit Migration, Integration oder Willkommenskultur - wie auch immer man das sagen möchte - wie eine Stadt mit so einer langen freundlichen Tradition und dem Wissen, wie wichtig die Begegnung mit dem Fremden immer wieder ist, jetzt damit umgeht. Das ist natürlich ganz anders als in Dresden. Aber es braucht auch hier deutliche Zeichen. Düsseldorf kann doch selbstbewusst sagen, wir sind eine Großstadt, wir haben das geübt und das hat immer toll funktioniert. Schaut nach Düsseldorf und seht, wie man das macht.

Theater ist für Sie ein Ort, an dem diese Fragen verhandelt werden.

Schulz: Ich glaube, dass in diesen schwierigen Zeiten, in denen so viel indirekt über Talkshows kommuniziert wird und so viel Stellvertreter-Kommunikation über das Netz läuft - wo ja eher Bestätigung als Widerspruch auftaucht, wie wir wissen — wir gemeinsame Orte brauchen, an denen man sich in die Augen gucken kann. Theater ist ein sehr demokratisches Medium, ein Medium, was Widerspruch zulässt und ganz unterschiedliche Empfindungen bei derselben Sache. Wir brauchen Freiräume, wo man kontrovers mit Dingen umgehen kann, ohne sich die Köpfe einzuschlagen.

Dafür müssen die Leute auch kommen.

Schulz: Das werden sie.

Es gibt nicht wenige, die sagen, Theater ist viel zu teuer.

Schulz: Ach wissen Sie, diese Debatte kenne ich seit meinem 19. Lebensjahr als ich angefangen habe, Theaterwissenschaft zu studieren und eifrig die Theater Berlins zu besuchen. Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, wir haben Wirtschaftswachstum und in Europa belegen wir einen Spitzenplatz. In Dresden habe ich immer gesagt, es ist noch niemandem eine Eierschecke weggegessen worden, durch einen Flüchtling, der über die Grenze gekommen ist. Es ist eine politische Entscheidung, ob die Gesellschaft in Kunst und Kultur investieren möchte, welchen Wert sie ihr beimisst. Das ist sicher immer wieder in der bürgerlichen Gesellschaft neu auszuhandeln. Aber ich bin total davon überzeugt, dass in einer Welt, die sich immer stärker fundamentalisiert, Kunst und Kultur eine der wenigen Chancen ist zu suchen, zu begreifen, zu heilen und Dinge auszutragen, ohne sich die Köpfe einzuschlagen.

Sie sind Intendant, Dramaturg und Bauherr des sanierungsbedürftigen Schauspielhauses. Welche Rolle gefällt Ihnen am besten?

Schulz: Intendant natürlich. Dramaturg ist mein ordentlicher Beruf und Bauherr lerne ich, das ist spannend.

Was ist Ihr Ziel als Intendant?

Schulz: Ich versuche, in drei Richtungen zu wirken: Mit dem Spielplan und den künstlerischen Produktionen Haltung zu beziehen und Leute zu gewinnen. Die zweite ist, den Raum für die Begegnung mit den Leuten zu schaffen, wie etwa mit dem Eröffnungsfest vom Wochenende. Ich möchte, dass die Düsseldorfer ins Schauspielhaus gehen, um tolle Inszenierungen zu sehen, aber auch, um an Diskussionen teilzunehmen oder für ein Konzert oder eine Party. Um einen Teil ihres Lebens zu verbringen. In Hannover hatten wir Leute, die haben bei uns geheiratet.

Und drittens?

Schulz: Das ist am kompliziertesten: Eine Zukunftsvision für dieses Haus, das Gebäude, zu schaffen. Ich kann mir vorstellen, dass nach der Sanierung, nach Kö-Bogen II und nach einer Neuanlage des Gründgens-Platz etwas rauskommt, auf das die Düsseldorfer stolz sein können. 2020 wird das Haus 50 Jahre alt, bis dahin kann etwas passieren. Wenn wir das Ziel nicht mehr sehen, wird es schwierig.

Ihr Leitungsteam besteht aus Kollegen, wie dem Chefdramaturgen Robert Koall, die zum Teil schon mit Ihnen in Hannover und Dresden gearbeitet haben. In Düsseldorf sind mit Christof Seeger-Zurmühlen und Stefan Fischer-Fels stadtkundige Theatermacher hinzugekommen. Wie wichtig ist Ihnen dieses Zusammenspiel?

Schulz: Das sind tolle Leute, denen ich sehr vertraue und die dieses Haus mitlenken. Ich bin der Intendant, hier sagt man Generalintendant. Ich übernehme die Verantwortung für das, was wir tun. Man kann einen Betrieb mit 300 Mitarbeitern nicht nach Gutsherrenart leiten. Das ist ein Räderwerk, bei dem alles ineinandergreift. Führungsqualität hat mit dem Bewusstsein zu tun, dass man weiß, wie sehr man die anderen braucht. Entgegen häufig geäußerter Meinung sind Theater keine Bastion des Feudalismus.

Wie schaffen Sie es, sich in diesem Räderwerk Freiräume zu schaffen?

Schulz: Im Moment gar nicht. Eigentlich schon seit zwei Jahren nicht mehr, weil ich zwischen Dresden und Düsseldorf hin- und hergependelt bin. Ich versuche, in meine Familie nicht zu viel Betrieb reinzutragen, damit es auch noch einen zweiten Bereich gibt.

Verliert man da nicht die Lust?

Schulz: Nein, die Aufgabe macht auch Spaß, ist eine Herausforderung. Wir sind angetreten, um das Haus in den Mittelpunkt der Stadt zu rücken, die Leute zu uns einzuladen und ein lebendiges Theater zu kreieren. Wenn Schwierigkeiten auftauchen, motiviert mich das, den Kampf anzunehmen. Und ich verliere ungern, ich möchte gewinnen.

Wie wichtig ist Ihnen die Eröffnung? Sie zeigen zehn Premieren in zwei Wochen.

Schulz: Man denkt instinktiv, mit dem Anfang entscheidet sich alles. Das ist gar nicht so. Man muss in den Kopf bekommen, jede einzelne Inszenierung kann gelingen oder scheitern. Es gilt der gleiche Spruch wie beim Fußball: Nach der Premiere ist vor der Premiere. Die erste Begegnung mit dem Publikum bleibt natürlich aufregend. Ich bin froh, dass wir so herzliche, neugierige und offene Reaktionen beim Eröffnungsfest und den ersten Voraufführungen hatten.

Und Auslastungszahlen?

Schulz: Wir sind in Hannover und Dresden fast fetischistisch damit umgegangen. Wir haben gesagt, wir gehen nicht unter 250 000 Karten aus der Spielzeit raus. Diesen Zahlenfetischismus lassen wir hier erstmal beiseite. Aber: Wir wollen gewinnen, das habe ich gesagt.