Mietwohnung unbewohnbar Mit der Sanierung kam die Gefahr
Seit über einem Jahr kann Burhan Kandemir nicht mehr in seiner Wohnung leben. Nach nicht genehmigten Sanierungsarbeiten im Haus ist sie unbewohnbar.
Für Burhan Kandemir haben einige wenige Tage sein ganzes Leben verändert. „Ich habe von heute auf morgen mein Zuhause verloren“, erzählt er. Zehn Jahre lebte er als Mieter in seiner rund 90 Quadratmeter großen Wohnung nahe des Rheinparks. Dann wurde das Haus verkauft. Während die drei anderen Mietparteien auszogen, wollte Kandemir seine Wohnung behalten – trotz angekündigter Arbeiten zur energetischen Sanierung und Modernisierung des Gebäudes.
Die Arbeiten begannen im Herbst 2021 und damit auch die Probleme. Es kam zu einem Wasserschaden, auch die Heizung wurde abgeschaltet. An einem Dienstag im November kam die Decke in Burhan Kandemirs Schlafzimmer runter. Risse waren in der Decke zu sehen, ein befreundeter Architekt äußerte schon da Zweifel an der Statik und der Verträglichkeit selbiger mit den Bauarbeiten im Stockwerk darüber. Zwei Tage später arbeitete Kandemir im Wohnzimmer am Laptop, war kurz aufgestanden – es gab ein lautes Geräusch; und auch ein Teil der Decke in diesem Raum fand sich auf seinem Esstisch wieder.
Burhan Kandemir hatte bereits den ersten Fall der Bauaufsicht gemeldet; beim zweiten Vorfall reagierte das Amt: Das gesamte Haus wurde versiegelt. Denn es stellte sich heraus, dass für die Bauarbeiten eine Baugenehmigung nötig gewesen wäre und die Wohnung mit diesen beträchtlichen Schäden nicht mehr gefahrlos bewohnbar war. Für Kandemir lautete daher die Anweisung vom Amt: „Packen Sie einen Koffer, für ein paar Tage, Wochen, vielleicht einen Monat – erstmal können Sie hier nicht bleiben.“
Für den Bundespolizisten am Düsseldorfer Flughafen ist es ein schwerer Schlag, dessen Tragweite sich erst im Laufe der Zeit zeigt. Denn seit diesem Vorfall Ende November 2021 durfte Burhan Kandemir lange überhaupt nicht mehr in seine Wohnung. Erst kürzlich durfte er wieder hinein, dort zu wohnen ist aber nicht möglich. Stattdessen lebte er erst im Hotel, sollte in ein schmuddeliges Appartement ziehen, das er ablehnte und fand selbst über Bekannte ein möbliertes 35-Quadratmeter-Appartement. „Ich werde verrückt hier drin – ich lebe, schlafe und esse in einem kleinen Raum“, schildert er seine Lage.
Für das kleine Appartement bezahle er noch dazu 900 Euro Miete im Monat – fast so viel wie für seine eigentliche und deutlich größere Wohnung. Seit Juli übernehme der Besitzer seiner Wohnung nur noch 70 Euro der Miete, vorher wurde die Ersatzwohnung bezahlt. Nach Aussage Kandemirs fordert sein Vermieter noch zusätzlich die Miete für die nicht bewohnbare Wohnung nach. Diese zahlt der Mieter seit der Versiegelung nicht mehr.
Seine Möbel, Kleidung und vieles mehr sei beschädigt, alles rieche modrig. „Nachdem über ein Jahr nicht gelüftet und geheizt wurde, ist das kein Wunder“, sagt Kandemir. Der Schlafzimmerschrank mit seiner Kleidung sei unbrauchbar, die Feuchtigkeit durch den Wasserschaden habe zu Schimmelbildung geführt.
Im Dezember habe eine Spedition seine Sachen eingelagert. Auch Küche und Keller sollte er komplett ausräumen, doch Kandemir weigerte sich. „Ich glaube, man will mich da raushaben.“ Als er am vergangenen Wochenende noch mal in der Wohnung war, war die Küche zu großen Teilen abgebaut und auch andere Räume weiter ausgeräumt – ohne sein Wissen. „Ich habe die Polizei verständigt, schließlich weiß ich nicht, wo mein Eigentum hin ist.“ Darauf von ihm angesprochen, soll sein Vermieter nur mit der Aussage reagiert haben, dass die Bauarbeiten weitergehen sollen und die Sachen im Keller seien. Kandemir hat nun das Schloss seiner Wohnung austauschen lassen und möchte den Schlüssel erst wieder aushändigen, wenn sein Eigentum zurück ist oder er für den Eingriff entschädigt wurde.
Auf Nachfrage teilt die Bauaufsicht mit, dass man sofort tätig geworden sei und „die Nutzer anderweitig untergebracht wurden, sodass keine Gefahr für Personen mehr bestand“. Im Mai 2022 wurde ein zunächst unvollständiger Bauantrag für den Ausbau des Dachgeschosses genehmigt, heißt es weiter. Vor Baubeginn mussten allerdings noch Voruntersuchungen unter anderem von Statikern durchgeführt werden. Zu diesem Zweck sei das Haus entsiegelt worden. Erst im November sei der Standsicherheitsnachweis vorgelegt worden, ohne den die Bau- und Sanierungsarbeiten nicht beginnen konnten. Der Bauaufsicht liegt nun seit Januar eine Mitteilung vor, dass die Bau- und Sanierungsarbeiten begonnen haben.
Im Mai sollen die Arbeiten abgeschlossen sein, hat der Vermieter Burhan Kandemir mitgeteilt und er soll dann auch wieder in seine Wohnung einziehen können. „Ich glaube noch nicht so ganz daran.“ Sollte es damit nicht klappen, würde er sich freuen, könnte er eine neue Wohnung in ähnlicher Lage und Größe und mit ähnlichem Preis finden.
Im April geht es allerdings zunächst vor Gericht gegen den Besitzer der Immobilie. Kandemir fordert Schadensersatz und Schmerzensgeld. „Ich war zehn Monate arbeitsunfähig, habe therapeutische Hilfe und musste Medikamente nehmen.“ Vergangenes Jahr habe er gar Suizidgedanken gehabt. Ohne die Unterstützung seiner Arbeitskollegen, Freunde und Familie wisse er nicht, wo er heute wäre.
Schon vor einiger Zeit ist Zanda Martens (SPD), Bundestagsabgeordnete aus Düsseldorf, auf den Fall aufmerksam geworden und schrieb einen langen Beitrag in den sozialen Medien. Für sie liegt hier eine große Ungerechtigkeit vor: „Der Eigentümer wird für sein Handeln – die illegalen Bauarbeiten und die Gefahr für Leib und Leben anderer Menschen – nicht bestraft.“ Außerdem werde er von keiner Stelle dazu verpflichtet, sich darum zu kümmern, dass sein Mieter angemessen untergebracht ist. Sie möchte sich nun dafür einsetzen, dass genau so etwas nicht weiterhin so einfach passieren kann und stärker durchgegriffen wird. Auch bringt Martens in ihrem Post den Begriff der Entmietung ein und betont, dass dies ein Fall von vielen sei. „Ähnliche Ungerechtigkeiten gibt es aber in vielen Fällen“, so Martens. Man müsse Anreize abschaffen oder umgestalten, wie etwa die Modernisierungsumlage, und als Staat stärker eingreifen können, wenn ähnliche Probleme vorlägen.
Der Eigentümer der Immobilie hat sich inzwischen auf Nachfrage gemeldet, möchte sich aber wegen des laufenden Verfahrens nicht weiter zu dem Fall äußern und darüber hinaus auch seinen Namen nicht in der Zeitung lesen.