Kunstsammlung NRW Optisches Vergnügen - Grenzgängern der Moderne im „Museum global“
Düsseldorf · Die Kunstsammlung NRW ist berühmt für ihre klassische Moderne. Doch nun lässt sie sich von den Künsten aus Asien, Afrika und Südamerika inspirieren. Es gibt viele Entdeckungen und neue Blicke.
Ein riesiger, weißer Pfeil auf der schwarzen Marmorfassade der Kunstsammlung lenkt das Auge nicht nur auf einen neuen Eingang, sondern zugleich auf einen neuen Blick. Mit dem „Museum global“ sucht die Landesgalerie nach jenen Grenzgängern der Moderne, die jenseits der gängigen Klassik aus Europa und Nordamerika anzutreffen sind. Die Bundeskulturstiftung, die die Anregung dazu gab, finanziert das Projekt mit 800.000 Euro. Rund 20 Kunsthistoriker schwirrten daraufhin zwei Jahre lang durch die Welt von Brasilien über Indien und Mexiko bis in den Libanon. Anschließend wurde die Dauerausstellung in K 20 ausgeräumt, um Platz für das Fremde zu schaffen.
Der Besucher betritt die Schau über die Grabbehalle, die von Raumlabor Berlin in einen neuen Off-Raum verwandelt wurde. Als Ort für Vorträge, Performances und Seminare. Ein Ort zum Schmökern und Relaxen. Und das auch noch gratis. Erst die Ausstellung selbst kostet Eintritt. Und sie liefert weitere Infos. Gleichzeitig vergleicht der Besucher unwillkürlich zwischen den bekannten Klassikern und der fernen Moderne. Und er findet Spaß daran, denn die Schau ist ein optisches Vergnügen.
Nackte Schöne im Schlafanzug sucht den Vergleich zu Kirchner
Auftakt dieser Schau in sieben Kapiteln ist Tokio. Dort hatten sich die Künstler mit einem Manifest von 1910 die „absolute Freiheit des künstlerischen Individuums“ eingefordert. Yorozu Tetsugoro präsentiert eine nackte Schönheit, die er lediglich mit einer Art Schlafanzugs-Unterteil bekleidet und inmitten eines Feldes von Kräutern in die Höhe driften lässt. Dabei guckt die Grazie unverschämt frech auf den Betrachter und zeigt den keuschen Traditionalisten seiner Heimat auch noch ihre Achselhaare. Der Maler lässt über ihrem Haupt eine Wolke wie einen Energie-Spender schweben. Im Kontrast dazu wird eine Schöne von Ernst Ludwig Kirchner mit japanischem Schirm gezeigt, den sie brav in der Hand hält. Yorozu lässt aber auch seine bekleidete Ehefrau mitsamt Boa brillieren, nimmt sie es doch mit fast jeder europäischen Schönheit auf. Und das, obwohl der Maler nie in Europa war.
Die Kunst Moskaus ist bestens bekannt. Doch auch hier gibt es eine Überraschung im georgischen Künstler Niko Priosmani. Dessen Doppelporträt zweier Bordelldamen, die ursprünglich als Werbeschilder im Tifliser Boheme-Bezirk gedacht waren, zeigt die Freudenmädchen in Schwimmanzügen, Badelaken und kapriziösen, roten Schuhen. Für den europäischen Blick ist dies eine köstliche Humoreske.
Aufruf zum kulturellen Kannibalismus in Brasilien
Als Brasilien 1922 seine 100-jährige Unabhängigkeit in Sao Paulo feierte, erinnerten sich die Künstler des Landes ihrer eigenen Wurzeln. Die Malerin Tarsila do Amaral und der Schriftsteller Oswald de Andrade riefen sogar zu einem kulturellen Kannibalismus auf, um sich das Andere einzuverleiben. Man glaubt der Malerin ihre Thesen, wenn man in ihr extrem selbstbewusstes Gesicht blickt. Hier präsentiert sich eine international bewanderte Frau, die zuvor bei Fernand Leger gelernt hat, sich zu präsentieren. Das Porträt übt Distanz, es will nicht berührt werden. Es ist und bleibt ein schönes Gesicht mit dekorativen Klunkern.
Sao Paulo bietet viele Überraschungen. Rego Monteiros großformatiges Gemälde einer indigenen Mutter mit Kind kombiniert christliche Tradition mit präkolumbianischer Kultur. Die Mutter ist in den wunderbar sandigen Tönen festgehalten. Und sie begreift ihr Kind als Teil ihres sehr symmetrisch aufgebauten Körpers.
Aber Brasilien beherbergt noch ein drittes Wunder, und das ist Lasar Segall, der 1889 in Vilnius geboren wurde. Er spielt eine wichtige Rolle im deutschen Expressionismus, gründete er doch mit Otto Dix die Desdner Sezessionisten. Im Gemälde vom „Ewigen Wanderer“, der auf einer abschüssigen Ebene vergeblich nach Bodenhaftung sucht, findet er das Thema der Zeit. Sein „Emigrantenschiff“ ist fast schon ein Wimmelbild von Flüchtlingen auf einem breiten Kahn, dessen Bug sich in den grau-blauen Himmel schiebt. 1923 emigrierte Segall nach Sao Paulo, während seine Kunst von den Nazis als entartet diffamiert wurde. Von ihm gibt es aber auch ein Doppelporträt mit seiner Frau, sie als Schönheit im neusachlichen Stil, er in verhaltenen Brauntönen. 1960, drei Jahre nach seinem Tod, bereitete ihm der Kunstverein Düsseldorf eine große Retrospektive als Akt moralischer und künstlerischer Wiedergutmachung. Es war das Jahr, als auch die Kunstsammlung gegründet wurde, mit 88 Werken von Paul Klee, gleichfalls als Akt der Reue und des Neuanfangs.
Frida Kahlo mit Mexiko-Fahne und amerikanischer Zigarette
Mexikos Avantgarde wird durch zwei Frauen akzentuiert. Die eine ist Frida Kahlo, die sich auf einen Podest stellt, in ein schickes Ballkleid hüllt und den Dialog zwischen USA und Mexiko praktiziert. In der einen Hand hält sie die mexikanische Fahne, in der anderen Hand eine Zigarette. Hinter ihr liegen der mexikanische Tempel auf der einen Seite und die Ford-Werke mit den fensterlosen Hochhäusern auf der anderen Seite.
Der Blick über den Tellerrand stimmt jedoch nicht nur euphorisch. Das liegt nicht an der Kunst, sondern der Politik. Noch in den 1950er Jahren galt Beirut als das Paris des Nahen Ostens. Das Land erlebte sein Goldenes Zeitalter. Und Saloua Raouda Chaucair spielte eine Schlüsselrolle als internationale Vermittlerin für Kultur. Doch 1974 machte der libanesische Bürgerkrieg dieser Vision ein allzu frühes Ende. Ähnlich erging es Nigeria, das sieben Jahre nach seiner Unabhängigkeit von einem grausamen Bürgerkrieg (1967 bis 1970) mit Massenflucht und Tod heimgesucht wurde.