Interview Gründung des Theaters an der Kö: „Das war kein Mut, das war Leichtsinn“

Düsseldorf · Das Theater an der Kö wurde vor 25 Jahren gegründet – trotz einiger Zweifel. René Heinersdorff, Direktor von Beginn an, blickt noch mal 25 Jahre weiter.

Der Regisseur René Heinersdorff  ist seit 25 Jahren der Direktor des Theaters an der Kö.

Foto: picture alliance / dpa/Horst Ossinger

Vor 25 Jahren galt es als Wagnis, in den gerade erst eröffneten Schadow-Arkaden ein Privat-Theater zu eröffnen. René Heinersdorff und seine Mutter und Theaterprinzipalin Barbara (2016 verstorben) riskierten es mit dem „Theater an der Kö“. Und hatten Erfolg. Bis heute.

Herr Heinersdorff, wie fühlen Sie sich – ein Vierteljahrhundert Theaterdirektor?

René Heinersdorff: Das hohe Gefühl des Direktorendaseins gibt es seit den 30er Jahren nicht mehr. Die Zeiten, in denen Theaterdirektoren mit Zigarre hinter dem Schreibtisch junge Schauspielerinnen „fördern“, die Produktionen kurz genial auf den Weg bringen und sich ansonsten in Südfrankreich und New York aufhalten, gibt es schon lange nicht mehr. Das Gefühl ist eigentlich eine stetige Sorge, ob jeden Abend der Lappen hochgeht.

Was geht durch Ihren Kopf, wenn Sie die Fotos im Foyer von den ersten Premieren im Herbst 1994 betrachten?

Heinersdorff: Viele sehr sehr schöne Erinnerungen, künstlerisch und menschlich. Da war eine große Solidarität von Künstlern des ersten Jahres.

Der Mut wurde damals bewundert, ein Theater im Parterre der gerade eröffneten Schadow-Arkaden zu betreiben. Haben Sie das bereut?

Heinersdorff: Das war kein Mut, das war Leichtsinn. Und „Parterre“ ist nett, bei uns kommen Sie zum Lachen in den Keller, was aber nichts Schlimmes ist, es gibt massenhaft Theater im Untergeschoss. Es ist wie immer: Wenn es läuft, bereut man nichts, in Phasen in denen es nicht läuft, sei es das Scheitern eines Vertrages mit einem Künstler, den man sich wünscht, oder sei es mangelnder Zuschauerzuspruch, bereut man schnell.

Schauspieler Jochen Busse (l), hier in dem Stück „Verwandte“ von 2015, ist immer wieder im Theater an der Kö zu sehen – aktuell spielt er in Heinersdorffs neuester Produktion.

Foto: Nicole Brühl

Wie hat sich Ihrer Ansicht nach die Lage der Boulevard-Theater im Laufe der Jahre verändert?

Heinersdorff: Die Behauptung, das Boulevardtheater sei ein Auslaufmodell, gibt es, solange ich in diesem Metier arbeite und das sind jetzt 35 Jahre. Die großen TV-Stars, die quasi als Trainingslager gerne ensuite Boulevardtheater spielten, etwa Claus Biederstedt, Grit Boettcher, Harald Leipnitz, Thomas Fritsch, werden vom Fernsehen so nicht mehr kreiert. Natürlich gibt es Nachfolgegenerationen, von Jeanette Biedermann, Dorkas Kiefer zu Anette Frier und Anja Kruse, oder von Oliver Mommsen, Hardy Krüger zu Karsten Speck, aber es gibt eben viele Namen, die Berührungsängste mit dem Boulevard haben, weil allabendlich gespielt wird oder man den Stempel Boulevard trägt oder weil sie es schlicht nicht können. Das Boulevard hat dennoch an Fahrt aufgenommen. Thematisch und ästhetisch. Aber es fehlt an Stücken. Früher bediente man sich in Paris, London und New York. Wir fuhren eine Woche nach London und hatten den Spielplan für zwei Jahre fertig. Das ist vorbei, dafür aber gibt es immer mehr gute deutschsprachige Komödienautoren wie Lutz Hübner, Stefan Vögel, Dietmar Jacobs.

Sie haben sich selber vergessen.

Heinersdorff: Dankeschön.

Welche Rolle spielt für Privattheater heute die Volksbühne?

Heinersdorff: Als wir anfingen, war die Volksbühne eine Servicestation zwischen Zuschauer und etwa zehn Bühnen in Düsseldorf. Sie bestellte einmal im Monat ein Kontingent und erhielt dafür eine erhebliche Ermäßigung. Das Kontingent ist geschrumpft, die Volksbühne hat sich längst örtlich und inhaltlich anderen Institutionen geöffnet und leidet sicher auch unter der Abo-Müdigkeit, die alle spüren. Die Ermäßigung ist geblieben und die privat geführten Theater müssen sich sicher irgendwann fragen, ob das in dieser Form zu halten ist.

Was muss Boulevard bieten, um auch jüngeres Publikum zu locken?

Heinersdorff: Ich halte die Altersstruktur im Boulevard für viel vertikaler, als das immer behauptet wird. Natürlich bevorzugt ein älteres Publikum eine Nachmittagsvorstellung, aber abgesehen davon, dass das oft die launigsten Vorstellungen sind, ist das ja nicht nur bei uns so. Generell sind die Themen aller Theater häufig Themen, die mit einer gewissen Lebenserfahrung besser nachzuempfinden sind. Ein Königsmord ist brisanter, wenn ich mit einem Vorgesetzten länger zu tun hatte, ein Ehebruch, wenn ich selber schon in einer Familienstruktur verankert bin. Der Forderung nach jüngeren Zuschauern kann man durch die Besetzung und natürlich durch die Wahl des Themas nachkommen. Aber das darf dann auch einen älteren Zuschauer interessieren, oder?

Im Rückblick: Gab es Tops im Sinne von Bestsellern und Flops, also Kassengift?

Heinersdorff: Man könnte jetzt aufzählen, was Kassenrenner waren und was uns viel Geld gekostet hat, aber man kann daraus keine Regel ableiten. Wenn man aus diesen Erfahrungen Rezepte schmieden könnte, wäre vieles leichter. Wir waren oft überrascht, angenehm und unangenehm.

In Ihrem neuen Stück „Komplexe Väter“ (uraufgeführt in Hamburg) geht es um Patchwork-Familie und späte Väter mit Jochen Busse und Hugo Egon Balder. Verarbeiten Sie auch eigene Erfahrungen?

Heinersdorff: Die Idee war, mit meinen beiden Freunden Jochen und Hugo zum 25. jährigen Bestehen ein neues Stück zu erfinden. Die Idee gefiel dem Hamburger und Berliner Theaterdirektor Jürgen Wölffer dann so gut, dass er uns seine Theater für die Uraufführung gab, ohne dass ich eine Zeile geschrieben hatte. Wir hatten nicht mal einen Titel. Ich kann gar nicht anders schreiben als über eigene Erfahrungen. Und das, was Jochen und Hugo und natürlich auch ich zum Thema späte Väter, zu junge Frauen und gescheiterte Ehe beizutragen haben, ist nicht von schlechten Eltern.

Welche Pläne für die Zukunft haben Sie als Autor, Regisseur, Schauspieler und natürlich auch als Theaterdirektor?

Heinersdorff: Ich möchte gerne mehr Zeit fürs Schreiben haben. Meine Komödien werden viel gespielt, auch im Ausland. Ich möchte mir einmal pro Jahr vier Wochen freihalten, nur zum Schreiben. Vielleicht wird es eine Zeit geben, in der das Boulevard so funktioniert wie heute schon die Musicals: Man erstellt eine Produktion und überlegt erst dann, in welcher Stadt man sie spielt. Mit der um sich greifenden Lidlisierung der öffentlich getragenen Theater, in denen durch Steuergelder mit Tickets für 3 bis 7 Euro geworben wird, wird es künftig schwer sein, alleine die Mieten für feste Häuser zu erwirtschaften.

Würden Sie gerne einem Ihrer Kinder eines Tages das Theater an der Kö übergeben? Und mit ihm/ihr den 50. Geburtstag des Hauses feiern?

Heinersdorff: Ich würde – ganz im Ernst – keinem dazu raten. Die Risiken sind zu groß und die Chancen zu gering. Und zum 50. des Theaters bin ich doch erst 80?!