Von wegen Kleve: Düsseldorf ist die eigentliche Schwanen-Stadt
Stadt-Teilchen Von wegen Kleve: Düsseldorf ist die eigentliche Schwanen-Stadt
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Nie sollte man ihn befragen! Nein, ein Handlungsballett werde es von ihm nicht geben, stellte Martin Schläpfer gleich klar, als er vor fast zehn Jahren nach Düsseldorf kam. Doch der Mann hat bekanntlich seine Meinung geändert. Gerade hatte seine eigenwillige Interpretation von „Schwanensee“ Premiere. Es gab viel Applaus, einige Buh-Rufe. Alle Vorstellungen der laufenden Saison sind ausverkauft. Auf einmal ist die ganze Stadt wie im Schwanenfieberrausch. Ansteckend.
Was den Ballett-Direktor, dessen Weggang nach Wien am Freitag bekannt wurde, wohl bewogen hat, einen schläpferischen Schwanensee (O-Ton Schläpfer) auf die Bühne zu bringen? Womöglich war’s ja auch der tägliche Ausblick aus dem großen Opern- auf das kleine Schwanenhaus im Hofgarten und auf seine stolzen Bewohner, die gleich vor der Hintertür des Musiktheaters ihre Bahnen ziehen — ruhig und irgendwie auch beruhigend. Immer wieder schön, im Frühling die märchenhafte Verwandlung vom hässlichen Entlein in einen schönen Schwan zu beobachten.
Schwäne ziehen durch mein Gemüt und machen mich melancholisch. Irgendwie prägten die stolzen Wasservögel auch mein Leben, seit ich in der Schwanenstadt Kleve volontierte (letzte Redaktion vor der Autobahn). Irgendwo dort im Grenzgebiet zwischen Niederrhein und Niederlande soll ja der Sage nach Lohengrin in einem von Schwänen gezogenen Kahn auf Brautschau gewesen sein. Wappen- und Wahrzeichen von Kleve ist denn auch die Schwanenburg, heute Amts- und Landgericht. Dort hockte ich viele Stunden als junge Gerichtsberichterstatterin. Mein erster Kontakt mit der Justiz. Das war manchmal ganz große Oper, meist ging’s um Drogenschmuggel.
Doch eigentlich ist Düsseldorf meine Schwanenstadt. Ich wohnte hier einige Jahre mit direktem Blick auf unseren Schwanensee, der hier Schwanenspiegel heißt, und erinnere mich noch gut an Zeiten, als es an dessen Ufer noch ein Restaurant gab, das Fischerhäuschen. Dort hätte sich auch Lohengrin einen Kahn mieten und damit munter mitten in der Stadt herumpaddeln können. Der Blick von oben herab auf solcherart Szenarien inspirierte mich in meinen unbekümmerten Anfängerjahren sogar, eine eigene Zeitung herauszugeben, den „Schwanen-Spiegel“, verfasst natürlich nur von Edelfedern. Es blieb bei der Null-Nummer.
Von hier aus erlebte ich auch die Errichtung des Dichter-Denkmals für Heinrich Heine zu seinem 125. Todestag auf dem Schwanenmarkt. Ich erinnere mich noch gut an die klirrend kalte Winternacht, als der Künstler Bert Gerresheim im fahlen Scheinwerferlicht die Aufstellung der Fragmente seines auch Fragemal titulieren Werkes beaufsichtigte. Der Frost knirschte unter den Schuhen wie gefrorener Zuckerguss und der Atem der Schwer-Arbeiter bildete stoßweise weiße Wölkchen in einer pechschwarzen Nacht, und man meinte den Dichter aus seiner Mythologie murmeln zu hören: „Aber tief muss uns empören, was wir von der Leda lesen. Welche Gans bist du gewesen, dass ein Schwan dich konnt’ bethören.“ Kann aber auch an meinem Beitrag zur Erwärmung der Szene gelegen haben: einige Thermoskannen mit heißem Tee mit viel Rum.
Der Schwanenmarkt diente für einige Zeit als Ausweichquartier als im Krieg der Carlsplatz aufgebrochen wurde für einen unterirdischen Luftschutzbunker. Als der Krieg vorbei war, zog der Markt zurück auf seinen angestammten Platz und in der Stadt begann die Zeit des Reinwaschens in jeder Hinsicht. Da wurde der Schwan, mit seiner strahlenden Weissheit schon immer ein Symbol der Reinheit, eines der ersten deutschen Markenzeichen: Schwanweiss aus Dr. Thompsons Seifenfabrik in Flingern.
Heute sind die Schwanenhöfe umgebaut in eine szenige Event-Location. Auch in anderen Stadt-Teilchen ist der Schwan zu Hause, in gleichnamigen Restaurants in der Altstadt, in Pempelfort und Derendorf, bekannt für gutes Frühstück und Mahlzeiten noch zu später Stunde.
Meine Großmutter schwörte übrigens auf das Waschmittel aus Dr. Thompsons Seifenpulverfabrik. Den zungenbrecherischen Slogan kann man sich heute noch auf Youtube vorspielen lassen: „Schwanweiss wäscht Schwanweiss“, laut Packungsaufschrift „selbsttätig“. Von wegen. Oma musste die Wäsche kräftig auf dem Brett rubbeln, bis sie richtig weiß wurde. Dabei hörte sie gern Opernmusik. Wagner war nicht so ihr Ding. Ballettmusik schon eher.