Gesundheit in Düsseldorf „Es gibt eine immense Mehrbelastung“

Düsseldorf · Pflegenotstand und schwerstkranke Kinder aus der Ukraine – warum aktuell mehr Kinder im Hospiz sterben.

Gisela Janßen (Leitung Sternenboot Uniklinik), Norbert Hüsson (Vorsitzender Förderverein Kinderhospiz) und Susanne Klösener (Pflegedienstleitung Kinderhospiz, v.l.) sind dem Regenbogenland eng verbunden.

Gisela Janßen (Leitung Sternenboot Uniklinik), Norbert Hüsson (Vorsitzender Förderverein Kinderhospiz) und Susanne Klösener (Pflegedienstleitung Kinderhospiz, v.l.) sind dem Regenbogenland eng verbunden.

Foto: Marc Ingel

Es hat nichts mit Corona zu tun und wahrscheinlich auch weniger mit dem aktuell grassierenden RS-Virus, der bei Kindern zu einer Atemwegsinfektion führt. Es ist aber leider Fakt, dass bei jungen Patienten, die ins Kinder- und Jugendhospiz nach Gerresheim kommen, aktuell eine deutlich höhere Sterberate als noch vor 1,5 Jahren zu beobachten ist. Susanne Klösener (Prokuristin und Pflegedienstleiterin im Kinderhospiz), Gisela Janßen (Leitung Kinderpalliativteam „Sternenboot“ an der Uniklinik Düsseldorf) und Norbert Hüsson (Vorsitzender Förderverein Regenbogenland) äußern sich zu den Hintergründen. 

Frau Klösener, wie sind Ihre Beo­bachtungen?

Susanne Klösener: Viele Kinder, die aktuell zu uns kommen, haben einen schwierigeren Verlauf, sind oft in der Finalversorgung, das hat seit den Sommermonaten weiter zugenommen. Waren es früher vielleicht zehn solcher Kinder im Jahr, die mit ihren Familien aufgenommen wurden und dann im Regenbogenland verstorben sind, hat sich die Zahl zuletzt fast verdoppelt.

Frau Janßen, haben Sie eine Erklärung für diesen traurigen Trend?

Gisela Janssen: Meines Erachtens sind dafür vor allem zwei Faktoren verantwortlich: Zum einen sind unter den vielen Familien, die zum Beispiel aus Ländern wie Ukraine, Iran oder Irak nach Düsseldorf geflüchtet sind, auch solche mit schwerkranken Kindern, die hier nicht in einem für die Situation angemessenen sozialen Umfeld untergebracht werden können, dann in ein Hospiz kommen und dort sterben. Zum anderen ist nicht zuletzt der Pflegekräftemangel dafür verantwortlich, dass palliative Kinder nicht mehr zu Hause oder in der Klinik versorgt werden können und früher in ein Hospiz verlegt werden. Das heißt aber nicht, dass die Sterberate unter Kindern höher geworden ist, vielmehr hat sich der Ort des Sterbens verlagert.

Herr Hüsson, Sie sind schon lange dabei, haben Sie eine derartige Entwicklung schon einmal beobachten müssen?

Norbert Hüsson: Dass so viele Regenbogen-Kinder innerhalb einer relativ kurzen Zeit verstorben sind, habe ich in den vergangenen 15 Jahren noch nicht erlebt. Und das führt natürlich auch zu einer immensen Mehrbelastung unserer Teams, insbesondere der Pflegenden und des Familientrauerteams – von der emotionalen Komponente ganz zu schweigen.

Ist das denn ein Phänomen, das allein auf das Regenbogenland in Düsseldorf zutrifft?

Klösener: Nein, beim letzten Leitungstreffen aller Kinderhospize in Deutschland haben alle berichtet, dass die Frequenz an finalen Versorgungen und in der Konsequenz dann auch das Versterben der Kinder in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen hat. Und die Anfragen an uns werden nicht weniger.

Und Corona hat damit wirklich überhaupt nichts zu tun?

Janssen: Wir hatten ursprünglich damit gerechnet, dass es gerade unter den schwerstkranken Kindern wegen Corona viel mehr Todesfälle geben würde, das ist aber nicht der Fall gewesen.

Hat es etwas mit einem bestimmten Krankheitsbild zu tun?

Janssen: Auch das nicht, diese sind sehr unterschiedlich. Die Kinder und Jugendlichen leiden an genetischen oder neurologischen Erkrankungen, seltener auch an bösartigen Tumoren. Und es betrifft zudem alle Altersstufen, vom Säugling bis zum jungen Erwachsenen.

Frau Klösener, teilen Sie die Ansicht, dass der Pflegenotstand etwas damit zu tun hat?

Klösener: Mit hoher Wahrscheinlichkeit ja. Teilweise mussten in Krankenhäusern ganze Stationen schließen, weil das Personal nicht vorhanden ist. Und im häuslichen Umfeld erleben wir fast täglich, dass uns die Familien teilweise verzweifelt anrufen, weil ihnen der Pflegedienst weggebrochen ist.

Stößt das Regenbogenland mit seinen zehn Betten aktuell bereits an seine Kapazitätsgrenzen?

Klösener: Zeitweise wurde es wirklich eng, zumal auch wir coronabedingt Personalausfälle im Pflege- und auch im Familienteam hatten.
Hüsson: Hinzu kommt, dass inzwischen bereits drei Kinder aus der Ukraine untergebracht sind, für die es keinen Kostenträger gibt, sodass der Förderverein dafür aufkommen muss, da Hospizleistungen nicht abgedeckt sind. Aber das machen wir natürlich gerne, dafür sind wir ja da.

Führt die aktuelle Entwicklung zu weiteren Einschränkungen?

Hüsson: Eltern, die hier einen Entlastungsaufenthalt für ihr Kind planen, was sonst immer möglich war, müssen wir teilweise absagen oder den Termin verschieben oder verkürzen, weil die Kapazitäten einfach nicht ausreichend sind. Kinder in der Lebensendphase haben absolute Priorität.
Klösener: Kinder in ihrer letzten Lebensphase zu versorgen, bedeutet einen viel höheren pflegerischen Bedarf und zusätzlich einen höheren Bedarf der psychosozialen Begleitung. Man ist rund um die Uhr mit den Eltern und womöglich auch den Geschwisterkindern in engem Kontakt, zudem regelmäßig mit dem Kinderpalliativteam im Austausch, das bündelt viel mehr zeitliche Ressourcen und natürlich auch Manpower.
Janssen: Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang, dass solche Kinder einen hohen Bedarf an medikamentöser und pflegerischer Versorgung haben, der in der Sterbephase durchaus steigt. Es werden noch mehr Geräte als vorher gebraucht, Apotheken und Sanitätshäuser sind involviert, da kommt eine Menge zusammen.

Frau Janssen, haben Sie mit dem Kinderpalliativteam denn ähnliche Erfahrungen gemacht?

Janssen: In den vergangenen Monaten hat es eine deutliche Häufung an Todesfällen gegeben im Vergleich zum ersten Halbjahr, das stimmt. Man muss dazu sagen: Das Regenbogenland ist nur eine unserer Anlaufstellen, wir sind ja am gesamten Nordrhein von Kleve bis Gummersbach tätig. Genaue Vergleichszahlen kann ich aktuell nicht nennen, in den vergangenen zwölf Monaten haben wir mit dem Palliativteam insgesamt 37 Kinder bis zum Tode betreut.

Wie muss man sich Ihre alltägliche Arbeit vorstellen?

Janssen: Wir sind immer bemüht, für ein schwerstkrankes Kind und seine Familie ein Netz zu stricken, auf mehreren Ebenen zu agieren. Dann spielen viele Fragen eine Rolle: Soll dieses Kind zu Hause gepflegt werden, wird ein Pflegedienst benötigt, kommt ein Entlastungsaufenthalt in einem Kinderhospiz infrage? Wird durch den Kinderarzt vor Ort bei extrem schwerwiegenden Symptomen eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung verordnet, richten wir für das Kind eine 24-Stunden-Rufbereitschaft ein. Dann ist es fast immer möglich, dass ein Kind im Kreise seiner Familie durch uns begleitet zu Hause verstirbt. Sollten familiäre Gründe oder gar eine Erschöpfung der Familie vorliegen, dann wird die Familie mit ihrem Kind im Kinderhospiz eine Entlastung finden.

Wenn das Kind dann in dieser finalen Phase ins Kinder- und Jugendhospiz kommt, sind die Eltern immer vor Ort?

Klösener: In der letzten Lebensphase ist die Familie, oder zumindest ein Elternteil, in der Regel immer dabei, dafür haben wir in unserer Einrichtung im Regenbogenland die Eltern-Apartments. Häufig beobachtet man aber, dass die Familien lieber mit im Kinderzimmer verweilen und auch dort schlafen. Das Familien- und Trauerbegleitteam ist ebenfalls vor Ort bzw. in Rufbereitschaft und somit jederzeit bei Bedarf für die Familien greifbar.

Und die Geschwister sind auch dabei?

Klösener: Ja, häufig, manchmal auch mit Schildkröte oder Fischen, Katzen und Hunde leider nein. Aber wir haben regelmäßig und bei Bedarf Therapiehunde im Haus, die sehr gerne angenommen werden. Zu den Geschwistern ist zu sagen: Oftmals gehen Bruder oder Schwester offener mit dieser besonderen Situation um. Sie spüren, dass etwas anders ist und meistens wissen sie, wo die Reise hingeht.