Warum Bodo Kirchhoff eine gesponserte Kreuzfahrt auf 120 Seiten absagte

Der Schriftsteller war zu Gast in der Heine-Buchhandlung. Die Vorstellung, als Gastkünstler auf einem Luxusliner mitzufahren, schreckte ihn nachdrücklich ab.

Über zwei Millionen Deutsche buchten im vergangenen Jahr eine Schiffsreise — Tendenz steigend. Die Veranstalter überbieten sich gegenseitig mit Bordprogrammen. Besonders beliebt sind Promis an Bord. Pensionierte Politiker werden geholt, Udo Lindenberg schippert mit, Nena, Suzie Quatro. Thomas Rath, Düsseldorfs Tausendsassa in Sachen Mode, kreuzt gern mal im Mittelmeer und dort im Programm des Luxus-Dampfers MS Europa 2 auf. Motto: „Fashion2Sea“. Und wenn man an Deck die Stimme von Robert de Niro vernimmt — Überraschung — dann ist es sein Synchronsprecher Christian Brückner.

Waren es früher Eintänzer, die dafür sorgten, dass keine(r) zu kurz kam an Bord, sind’s heute Edutainer. Auch die Literatur schwimmt längst mit im Fahrwasser des Kreuzfahrten-Booms. So bekam auch Bodo Kirchhoff, Jahrgang 1948, erfolgreicher Schriftsteller (Der Sandmann, die Weihnachtsfrau) und Gewinner des Deutschen Buchpreises (Widerfahrnis) vor zwei Jahren eine Einladung, an Bord eines Luxusliners zur Prime-Time zu lesen.

Alles wäre umsonst gewesen: Flug, Balkonkabine, Essen und Trinken. Doch 18 Seiten Anhang mit Verhaltensregeln an Bord schreckten den Autor. Eine Zensur fände statt. Mehr noch: Er wäre „als Gastkünstler“ gegen Kollegen der Kategorie Bauchredner mit Puppe an- und aufgetreten. Kirchhoff reagierte hochprofessionell: Er erteilte dem Luxus für lau eine Absage auf 120 Seiten: „Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt“, Frankfurter Verlagsanstalt, 18 Euro.

Eine Lesung daraus an Land verhinderte Friederike im Februar. Stürme kann man schließlich nicht nur auf hoher See erleben. Jetzt hat die Heine-Buchhandlung Kirchhoff erneut eingeladen. Lustvoll liest er vor, was hätte sein können, bis hin zu Rettungsübungen an Bord. Kirchhoff: „Kafka kommt sehr viel vor“. Eine fiktive Reportage von einem Albtraumschiff, das mehr Tiefgang hat als seine Passagiere. Mit zehn Tätowierten im Whirlpool? Da träumt sich der gerade von seiner Frau verlassene Protagonist lieber mit Frau Faber-Eschenbach, Marketing-Managerin der Reederei, nächstens an die Reling.

Kirchhoff ist nicht nur ein erfolgreicher Schriftsteller, auch ein brillanter Vorleser. Virtuos begleitet er sich selbst mit dem Fingerspiel seiner erhobenen Rechten, hebt und senkt seine Stimme in Wellen, setzt gekonnt Pausen, erzeugt Spannung nur so durch Weiterblättern. Auf seinen Seufzer „Das ist jetzt eine heikle Stelle“ springt sein Publikum (Durchschnittsalter durchaus auf Kreuzfahrer-Niveau) sogleich an: „Genau richtig!“. Sieht Kirchhoff ein: „Wir sind hier ja in Düsseldorf.“

Der Mann hätte sicherlich auch an Bord eines Luxusdampfers sein Publikum. Aber er wollte wohl nicht solche Szenen erleben, wie die, die ihn in der Buchhandlung in der Bolker Straße einholt: An der Bar einfach so von der Seite angequatscht zu werden. Freundlich antwortet der Schriftsteller, geduldig signiert er nach einstündiger Lesung frisch erworbene und stapelweise ältere Bücher, die ein Zuhörer aus seiner Reisetasche auf den Tisch packt.

Kirchhoff ist nicht er erste und einzige, der die Luxusliner-Lust literarisch verarbeitet. Schon sein US-Kollege David Forster Wallace beschreibt satirisch-süffisant seinen einmaligen Kreuzfahrtversuch. Der Titel hält, was er verspricht. „Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich“. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Kirchhoff: „Leben an sich ist wie eine endlose Reise. Wozu noch ein Schiff besteigen, das im Kreise fährt.“