Auch unser Kolumnist ist flaniert. Er hat dabei die Puschels entdeckt und ihre Schöpferin getroffen.

Ehrlich gesagt haben die Puschels schon bessere Tage gesehen. Ein bisschen zerzaust sehen sie derzeit aus, blass um die Nähte und so, als sei nicht alles in diesem Winter gut gelaufen mit ihnen. Eine Wäsche oder eine ähnliche Auffrischung könnten manche vertragen.

Foto: Judith Michaelis

Aber, so viel kann man schon mit einem Blick feststellen, sie sind noch da.

Zur Erklärung für alle, die nicht täglich an der Kreuzung von Kronen- und Kirchfeldstraße in Unterbilk vorbeikommen: Dort wohnen die Puschels. Ich wusste erst nicht, ob sie wirklich mit Namen Puschel heißen, aber ich habe sie einfach so getauft, als ich sie vor Monaten zum ersten Mal entdeckte. Die Puschels sind Überzieher aus Wolle, die an der Kreuzung über Absperrpfähle gezogen wurden. Einfach so, von irgendwem, dachte ich. Ein bisschen sehen sie aus, als wären sie früher mal als putzige Heldenhelfer in einem „Star Wars“-Film aufgetreten oder hätten eine Karriere als Kinderspielzeug hinter sich. Einige haben Gesichter, andere ähneln Gebäuden.

Ich habe mal in den umliegenden Häusern gefragt, ob jemand weiß, wem diese Aktion zuzuschreiben sei. Eine ältere Dame sei dafür verantwortlich, sagte mir jemand aus der Kronenstraße, vor dessen Büro gerade frische Puschels in noch leuchtenden Farben stehen. Der freundliche Mann im Eck-Kiosk gibt dann den Hinweis auf Frau Graf. Die kenne hier jeder. Ein paar Häuser weiter wohnt Barbara Graf. „Ich bin die Mutter der Puschelmonster“, sagt sie sofort. Der umtriebigen 79-Jährigen haben irgendwann die nackten Stangen nicht mehr gefallen. „Mir macht das Freude“, sagt sie und erzählt begeistert, dass Nachbarn manchmal Wolle vorbeibringen. Damit noch mehr Puschels entstehen. Ein paar Meter die Straße herunter hat Frau Graf schon Nachahmer gefunden, da hat jemand sogar den Rheinturm in Wolle gepackt.

Irgendwie anrührend wirkt das an diesem Ort, der sonst so wenig Schönes hat. Man muss halt einmal an der Kreuzung von Kronen- und Kirchfeldstraße gestanden haben, dann merkt man schnell, dass hier die Menschen vornehmlich auf der Durchreise sind. Die meisten streben ins Evangelische Krankenhaus oder kommen daher. Es lässt sich vorstellen, dass Menschen, die mit Krankheiten zu tun haben, an andere Sachen denken als an unwirtliche Kreuzungen. Trotzdem habe ich bei meinen Besuchen immer wieder Passanten gesehen, die für einen Moment innehielten. Leicht verwirrt schauten sie auf die Puschels, und für einen winzigen Moment schienen sie ihrer irdischen Last enthoben. Manche haben sogar gelächelt.

Ich muss auch immer lächeln, wenn ich dort auf dem Weg zu meinem neuen Lieblingscafé an der Bilker Allee vorbeikomme. Das liegt daran, dass ich mich mit manchen Puschels schon regelrecht angefreundet habe. Ja, richtig gehört. Ich habe mich angefreundet mit Absperrstangen im Wollmantel. Abstruser geht’s nicht.

Geht’s noch, fragt man gerne, wenn sich jemand so verhält wie ich. Aber meine Antwort ist klar: Ja, es geht noch. Es geht sogar sehr gut, wenn ich bei den Puschels bin. Dann sind sie eben nicht einfach nur verstrickte Begrenzungen, sondern kuschelige Stolpersteine im Alltag. Sie erzählen eine Geschichte von Menschen, denen nicht egal ist, wie ihre Stadt aussieht, die einfach etwas tun, so wundersam das auch wirken mag. Es erzählt auch eine Geschichte davon, wie wenig es braucht, um kleine Inseln der Seligkeit ins raue Meer der urbanen Routine zu setzen.

Diese Puschels wirken entspannender als jede Sitzbank. Sie sagen: Lass die Gedanken schweifen. Nur kurz. Und dann geh weiter und behalte uns in Erinnerung. Schau selber, was du in deiner Umgebung mit Liebe besser machen kannst. Wenn du etwas tust, und auch nur ein Mensch lächelt deshalb, dann hast du schon viel getan für deine Stadt, für deine Straße, für die Gemeinschaft der Eiligen.

Seitdem überlege ich, was ich persönlich tun könnte. Mir ist noch nichts eingefallen. Für Tipps wäre ich sehr dankbar. Ich kann nicht stricken, nicht häkeln, ich kann halt nur nett formulieren. Begreifen Sie, lieber Leser, also diesen Text als eine in Wolle gepackte Fahrbahnbegrenzung, als Buchstabenpuschel quasi. Lassen Sie sich kurz irritieren. Dann sind wir beide glücklicher. Sie lächeln dann und ich auch.