Stadt-Teilchen Düsseldorf kennenzulernen, ist nichts für Feiglinge
Düsseldorf · Unser Autor ist Düsseldorfer. Glück für ihn, die erste Orientierungsphase ist in dieser Stadt nämlich gar nicht so leicht.
Als geborener Düsseldorfer kenne ich mich ziemlich gut aus in dieser Stadt. Ich weiß um ihre Eigenheiten. Ich weiß um die ihr innewohnenden Widersprüche. Ich kann Alt von Kölsch unterscheiden und habe internalisiert, dass Alt trotz des Namens irgendwie frischer schmeckt als die nebenan favorisierte Flüssigkeit. Ich weiß, dass ein Köbes, der mich zu freundlich behandelt, keine allzu hohe Meinung von mir hat. Ich weiß, dass an der Königsallee kein König wohnt, und dass das Wasser des Rheins nicht so rein ist, wie es der Name suggeriert.
All das weiß ich, weil ich von hier komme. Auch im hohen Alter darf ich mich immer noch Düsseldorfer Jong nennen, auch wenn ich niemals dem für Jonges zuständigen Verein beitreten werde, da ich Vereine grundsätzlich meide. Ich bin noch nicht einmal im ADAC.
Ich freue mich auch als knorriges Heimatgewächs immer noch, wenn die Frau an der Wursttheke „Was darf‘s denn sein, junger Mann“ fragt. Trotz meines faltigen Gesichts, das inzwischen dazu tendiert, einer Grachtenkarte der Niederlande ähneln zu wollen, freue ich mich über dieses kleine Geflunkere zwischendurch. Das streichelt meine Seele und öffnet sie fürs Gegenüber.
Ich kenne mich halt in der Düsseldorfer Diplomatie aus, in der unnachahmlichen Kunst, genau das zu sagen, was ich meine, es aber so zu verklausulieren, dass andere etwas anderes herauszuhören meinen. Nur werden sie dieses Meinen nie durch Fakten belegen können, weil ich halt sehr klug zu formulieren weiß.
Wenn ich etwa jemanden in der Kneipe kennenlerne, und ich sage dem zum Abschied nach einem bierseligen Abend „Wir telefonieren“, dann weiß ich, dass ich ihn niemals anrufen werde, dass ich aber trotzdem nicht gelogen habe. Ich habe ja nur „Wir telefonieren“ gesagt. Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn anrufe. Ich werde telefonieren, er wird telefonieren, aber von künftiger gemeinsamer fernmündlicher Kommunikation ist in meinem „Wir telefonieren“ nicht die Rede gewesen.
Auswärtige tun sich oft ein bisschen schwer, wenn das Offensichtliche nicht das Wahre ist, wenn das Gesagte nicht eins zu eins übers Gemeinte gelegt werden kann. Vielleicht sollte ich mal einen Kurs in Düsseldorferisch anbieten, so eine Anleitung zum Zurechtfinden in dieser schönen Stadt. Das wäre doch mal etwas, das man Touristen zum Start ihres Düsseldorf-Besuchs anraten könnte.
Oder ich skizziere die Eigenarten der Eingeborenen in einem Prospekt, den man Flyer nennt, obwohl er nicht fliegen kann. Da stünde dann beispielsweise drin, dass man sich als Gelegenheitsbesucher den aktuellen Namen der Arena nicht merken muss, weil in fünf Jahren garantiert wieder ein anderer an der Außenhaut prangt. Nirgendwo gilt die Weisheit, dass Namen Schall und Rauch sind, besser als an der Großkiste nördlich der Messe. Und natürlich an der Philipshalle, die schon seit Jahren nicht mehr Philipshalle heißt, in meinem Herzen aber immer noch so gespeichert ist, weil sich dort große Teile meiner Jugend abspielten. Heute heißt die Halle irgendwie. Mitzibitzi-Eklektik-Halle oder so. Ich kann mir das nicht merken. Ich will mir das nicht merken.
Dafür bin ich in der Lage, Auswärtige auf die Eigenheiten der hiesigen Namensgebung hinweisen zu können. Fremde, die mit dem Auto anreisen, kann ich dementsprechend darüber aufklären, dass es in Düsseldorf zwei sehr ähnlich klingende Tunnels gibt. Es gibt den Rheinufertunnel und den Rheinalleetunnel. Beide liegen am Rheinufer, aber nur der in Oberkassel darf sich mit der Adelung Allee schmücken, obwohl ich unterirdisch niemals die für eine Allee an sich zwingend notwendigen Bäume erspäht habe. Natürlich ist das mit dem feinen Unterschied schwer zu merken, aber niemand hat behauptet, dass ein Besuch in Düsseldorf einfach werden würde.
Nach Düsseldorf darf nur, wer über einen Intelligenzquotienten verfügt, der den von Kartoffelsalat und Raumtemperatur zusammengenommen übersteigt. Solchen Menschen ist zum Beispiel zuzutrauen, sich nach Ankunft in unserer wunderschönen Stadt ohne Vorbereitung und Anleitung im raketenwissenschaftlich formulierten Tarifsystem der Rheinbahn zurechtzufinden. Sie blicken beispielsweise auf den Aushang, der an jeder Haltestelle aushängt, und sie wissen sofort zu unterscheiden zwischen den VRR-Preisstufen A1, A2 und A3.
A1 und A2 kosten 2,80 Euro für die einfache Fahrt, A3 kostet 2,90 Euro. Steht da. Worin sich diese Buchstaben-Zahlen-Kombinationen unterscheiden, erklärt der Aushang an just dieser Stelle nicht, was dumme Gestalten verunsichern könnte. Aber kluge Besucher finden natürlich sofort heraus, dass man A3 wählen muss, um ein Ziel innerhalb der Stadt zu erreichen. Warum? Sie sind halt klug und können die daneben im Kleingedruckten vermerkte Formel nicht nur entdecken, sondern auch noch dechiffrieren.
Die lautet folgendermaßen. Achtung! Vertrackter Originaltext: „A3 wählen Sie ausschließlich für Fahrten innerhalb von Düsseldorf, Essen, Wuppertal, Bochum und Dortmund sowie zugehörige 2-Waben-Beziehungen…“ Daraus schließt der kluge Fahrgast zwingend, dass A3 für Düsseldorf gilt, auch wenn die Formulierung offen lässt, was denn mit A1 und A2 passieren soll, wenn doch nur für A3 die Einschränkung steht, dass diese Preisstufe ausschließlich für Düsseldorf gilt. Ausschließlich! Man könnte daraus ja auch lesen, dass A1 und A2 dann im Gegenzug für alles gelten. Aber hey, Mann, wir sind hier in Düsseldorf, nicht in Düsseldoof. Wer das nicht kapiert, soll zu Hause bleiben.
Unsere Gäste schaffen das schon, das sind alles sehr gebildete Fachleute, die in ihrem Vorleben auch schon Hieroglyphen entziffert haben. Da werden sie doch mit ein bisschen VRR-Amtsdeutsch klarkommen. Ich freue mich schon auf diese hochintelligenten Wesen, weil sie mir dann auch bestimmt erklären können, was eine 2-Waben-Beziehung ist. Ich Naivling habe so etwas ja bisher eher in der nächstgelegenen Imkerei verortet und nicht im ÖPNV.
Düsseldorf ist nun mal nichts für Dummies. Hier braucht es den Kundigen, der die Lianen im Dschungel einer pulsierenden Großstadt mit der Machete seiner Kombinationskraft zu durchtrennen weiß. Ist man derart gerüstet, kann man auch problemlos die Bedeutung der Kunst enträtseln, die aus den Bahnhöfen der Wehrhahnlinie ein wunderbares Museum macht. Wenn in den Bahnhöfen nur äußerst knapp gehaltene Metallschildchen den Namen der Künstler und des jeweiligen Projekts verraten, finden Kundige natürlich sofort die zugehörige Webseite, auf der Sinn und Wesen der Kunst ausführlich erklärt werden.
Man könnte das alles natürlich auch vor Ort erklären. Auf einer schönen Metalltafel vielleicht. Da müsste ja nicht einmal der gesamte Text stehen, aber der Verweis auf die Webseite könnte so manch Ahnungslosem den Weg zum Wissen weisen. Ja, könnte man. Aber hey, wir sind in Düsseldorf. Hier wird man ja quasi mit dem Schnüffelabitur geboren. Hier weiß man, wie man Dinge herausfindet. Auch ohne QR-Code und Webadresse. Das ist alles Teil eines großen Trainingsprogramms, mit dem die Stadt ihre Bewohner wach und die Besucher fasziniert hält. Wer das durchlaufen hat, muss bei „Wer wird Millionär?“ keinen Eingangstest mehr durchlaufen. Der kommt direkt zum Jauch.
Die dahinter stehende Botschaft flimmert quasi in Leuchtschrift über allem: In Düsseldorf wird dir nichts geschenkt. Du musst es herausfinden, deinen Instinkt trainieren, dann kriegst du auch mit, was der Unterschied zwischen einem Bücherbummel und einer Büchermeile ist, warum es beim Rundgang in der Kunstakademie überhaupt nicht rund geht, sondern immer nur den Gang hinauf und dann wieder den Gang hinab.
Wir sind die kluge Stadt, die ausschließlich kluge Menschen hat. Menschen, die was wissen und um die man werben muss, wenn man an ihrem Schatz teilhaben möchte. „Sei nett zu Düsseldorfern“ könnte das Motto lauten, das man Touristen mit auf den Weg gibt. Man muss halt wissen, dass hier die Checker wohnen.
Wanderer, kommst du also in diese Stadt, dann stell dich nicht zu dumm an. Sonst landest du schneller in den VRR-Preisstufen B bis D als dir lieb ist.