Wie eine Casting-Agentur: Die Opern-Statisterie
Der ehemalige Solotänzer Michal Matys über seine Arbeit hinter den Kulissen der Oper.
Glück hatte Michal Matys häufig in seinem Leben. Besonders, als er 2011 die Ballettschuhe an den Nagel hängen musste und im Opernhaus die Stelle des Leiters der Statisterie frei wurde. Der Übergang in den neuen Job war fließend, sagt er. Bis heute ist er dankbar, dass Intendant Christoph Meyer ihm das zutraute. Seitdem klagt Matys nicht mehr über Schmerzen in Knien oder im Rücken, sondern der frühere Solotänzer und Modellathlet, der auch heute pfleglich mit seinem Körper umgeht, regelmäßig joggt und kaum ein Gramm Fett angesetzt hat, arbeitet überwiegend mit Opernregisseuren zusammen.
Für sie geht er auf die Suche nach den geeigneten Laien-Mitspielern, egal welchen Alters, ob in Humperdincks „Hänsel und Gretel“, Donizettis „Don Pasquale“ oder, wie in diesen Wochen, für Wagners „Walküre“. Früher ein gefragter Tanz-Darsteller mit makelloser Technik in „Schwanensee“, „Cinderella“ und „Romeo und Julia“-Klassiker, in denen Matys Publikum und Presse auch als agiler klassischer Prinz mit virtuosen Sprüngen und Pirouetten gelobt wurde, heute ein Organisator. So beschreibt Matys seinen „Fachwechsel“.
Schwer sei ihm das nur am Anfang gefallen. „Ich hab’ als Tänzer alles erreicht, habe mit renommierten Choreografen wie Heinz Spoerli, Youri Vamós, John Neumeier und zum Schluss Martin Schläpfer gearbeitet. Und immerhin bis 36 getanzt.“ Choreograf oder Ballettmeister zu werden (wie viele ehemalige Tänzer) — dafür sei er nicht geeignet, sagt er knapp — der Vater von zwei Kindern, seit 2009 verheiratet mit der ehemaligen Ballerina Daniela Svoboda, die heute als Referentin von Martin Schläpfer tätig ist. Seine Arbeit als Statisterie-Meister scheint den gebürtigen Tschechen, der nahezu akzentfrei Deutsch spricht, zu erfüllen. Der 42jährige schmunzelt: „Es ist wie eine kleine Casting-Agentur.“ Das mache Spaß; selbst wenn er nur im Ausnahmefall selber eine Statistenrolle übernimmt, wie in Don Pasquale. Hier tritt er mit Perücke als Andy Warhol auf. Immerhin hat er 50 Personen, Männer und Frauen, in seiner Kartei, im Alter von 16 bis 80. In Tabellen eintragen, Leute finden etc. — Büroarbeit macht etwa 30 Prozent seiner Tätigkeit aus. Eine Schnittstelle zwischen Organisation und künstlerischer Leitung sei das. Während er früher seinen klassisch trainierten Körper zur Verfügung stellte, sucht er heute mit geschultem Tänzer-Blick die Personen aus, die körperlich und vom Alter her in das Regie-Konzept von Rolando Villazón oder Dietrich Hilsdorf passen könnten.
Matys, der Fotos von seinen Kandidaten auf Smartphone stets bei sich hat, lädt z.B. zehn Männer und acht Frauen zu einem Casting ein. Wer genommen wird, entscheidet der Regisseur. In seiner Kartei hat er Ärzte, Mathematiker, Ingenieure, Büroangestellte, Arzthelferinnen, aber auch Hartz-4-Empfänger, Jura-Studenten und Rentner. Stets ist er auf der Suche nach neuen Gesichtern. Die meisten kommen auf Empfehlung. Schwierig sei es, junge Männer zu finden, z. B. für die Soldaten in Wagners „Walküre“. „Sie müssen gut gebaut sein, aber auch empfänglich für die Wagner-Musik.“ Die wichtigste Eigenschaft aber: Zuverlässigkeit.
Denn wenn Statisten wegbleiben oder in der Kantine die Einsatz verpassen, könnte in manchen Bildern eine Leerstelle entstehen. So z.B., wenn jemand, als Diener verkleidet, einem Sängerdarsteller einen Brief oder ein Glas Champagner (meist gefüllt mit Apfelsaftschorle) überreichen soll, und der erscheint nicht im entscheidenden Moment, könne das peinlich werden. Bei heiklen Einsätzen ist Matys deshalb vor Ort und sorgt dafür, dass seine Crew pünktlich auf die Bretter marschiert.
Da fast alle tagsüber arbeiten, liegen die Probentermine überwiegend in den Abendstunden. „Nur für die Endproben vor den Premieren, die vormittags beginnen, nehmen sich die meisten frei.“ Die Gage ist gering. „Doch saldiert man die Bezahlung für Proben und Vorstellungen, liegt sie knapp über dem Mindestlohn.“
Nur für Sondereinsätze gäbe es eine Zulage: In den „Lustigen Weibern von Windsor“, erzählt Matys, „muss eine Statistin vor einen Priester treten und kurz ihren nackten Busen zeigen.“ Wer das macht, kassiert 100 Euro extra.