Rückblick Es gibt so vieles, über das man sich ärgern kann. Warum nicht mal bei 2017 bedanken?
Rückblick Es gibt so vieles, über das man sich ärgern kann. Warum nicht mal bei 2017 bedanken?
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Irgendwie ist das Leben ja nichts weiter als eine Verkettung von Missverständnissen. Der Mensch versteht zu oft falsch und schraubt seine Erwartungen deshalb in Höhen, die eigentlich eine Sauerstoffdruckbetankung nötig machen. Dabei hat doch erst kürzlich jemand festgestellt, dass Glück exakt der Zustand ist, in dem das Hirn die Klappe hält, in dem man also nicht scheitert an zu hohen Ansprüchen und der Enttäuschung, wenn nichts und niemand diesen Ansprüchen gerecht wird. Mit Demut wäre das nicht passiert. „Erwarten Sie einfach nicht so viel“ könnte auf einem entsprechenden Werbeplakat stehen.
So etwas fällt mir ein, wenn ich dieser Tage durch Düsseldorf streife und vergeblich den Ort suche, an dem die Nähe die Freiheit trifft, wie es im neuen Slogan versprochen wird. Ich frage mich dann vor allem, was das Jahr gebracht hat, mir und der Stadt.
Für mich ist die Frage rasch beantwortet. Ich bin wieder ein Jahr älter geworden und habe zwei Malaisen dazu gewonnen. Ich bin jetzt auf besondere Weise knackig. Mal knackt es hier, mal knackt es dort. Danke, lieber Körper. Aber das ist nunmal so, wenn man in die Jahre kommt. Nicht weiter schlimm. Ich beherrsche inzwischen die Kunst, Dinge schönzureden, die nicht zu ändern sind. Danke dafür, liebes Jahr 2017.
Ich kenne jetzt zum Beispiel einen wunderbaren Ort, an dem ich Entspannung trainiere. Ich buche ein Flugticket und stelle mich vor den Sicherheitsschleusen am Flughafen an. Natürlich in den Stoßzeiten. Dort wird mir jede Menge Zeit geschenkt. Ich muss nur ab und an sehr langsam und achtsam meinen Körper vorwärtsbewegen und mich ansonsten in Geduld üben. Das macht einen irren Spaß und taugt nur bei jenen Menschen zum Verdruss, die ihr Leben takten wie ein Metronom auf Speed. Der Flughafen hat in diesem Jahr gelernt, dass er keinen Einfluss auf die Leistungen des Personals an den Kontrollstellen hat und nicht eingreifen kann, wenn dort zu wenige Menschen arbeiten. Der Flughafen ist also klüger geworden. Im Namen des Flughafen sage ich: Danke, liebes Sicherheitsunternehmen.
Einen ähnlichen Effekt kann man übrigens auch mit dem Auto erzielen. Man muss nur mal von Bilk über die Friedrichstraße in die Stadt streben und dort den schönen neuen Radweg bewundern. Der beeindruckt, aber noch mehr beeindruckt die Verkehrsführung, die für Autos mal eine Spur aufweist, dann wieder zwei, dann wieder eine. Das hat zur Folge, dass sich zu fast allen Zeiten feine Staus bilden, in der die Wagenlenker immer wieder zur Besinnung kommen und Zeit haben, darüber nachzudenken, warum es viel flüssiger voran ging, als noch eine Straßenbahn Platz hatte. So etwas übt den Langmut. So etwas hilft, den Geist zu entschlacken und das Hirn zum Schweigen zu bringen. Man ahnt dann sehr rasch, warum Schnecken immer so glücklich wirken. Danke, liebe Verkehrsplaner.
Folgt man der Erkenntnis, dass man nach Missverständnissen klüger ins weitere Leben entlassen wird, dann ist auch der Oberbürgermeister nun ein besserer Mensch, sah er sich doch 2017 mit so vielen Missverständnissen konfrontiert, dass man beinahe schon Mitleid haben wollte mit ihm. Er weiß nun immerhin, dass es ein bisschen blöd ist, wichtige Ausstellungen mit windigen Begründungen lapidar abzusagen, versehentlich Bäume für einen Metro-Pavillon abzuholzen, Freunde der Fotokunst durch gutsherrenartige Entscheidungen zu verärgern und Kosten für den Tour-de-France-Auftakt vorher klein zu rechnen und hinterher deren Auszahlung nicht angemessen genehmigen zu lassen. Im Namen von Thomas Geisel sage ich: Danke, liebes Leben.
Natürlich könnte man auch unzufrieden sein mit den Leistungen des OBs. Aber so etwas vermiest doch nur das Leben. Ich stelle mir den Stadtlenker lieber als sehr glückliches Wesen vor, weil sein Hirn so oft die Klappe hält. Glaube ich jedenfalls. Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege. Der Mensch irrt, so lange er lebt. Der Hoff noch ein bisschen länger.
Ich freue mich nun zudem auf viele freie Stunden im kommenden Jahr, weil ich nicht mehr jeden Tag bei Center TV reinschauen muss, um Menschen zu erleben, die üben, wie man Fernsehen macht. Jetzt, da der Sender im wahrsten Wortsinne von der Bildfläche verschwindet, werde ich diese gestelzten Lesungen vermissen, die sich die Ansager offenbar aus dem richtigen Fernsehen abgeschaut hatten. Wie viele Stunden habe ich amüsiert und mit einem völlig unbegründeten Überlegenheitsgefühl vor der Glotze verbracht und Center TV geschaut. Oft kam dann meine Frau rein und sagte: „Na, schaust du wieder ’Jugend forscht’?“ Sie kann so gemein sein. Ich nicht. Ich sage: Danke, liebes Center TV.
So komme ich wenigstens häufiger mal raus und kann meine neuen Wanderschuhe ausprobieren. In den Outdoorläden gibt es ja nur unzureichende Bergpfadsimulationen. Für den echten Test braucht es aber eine wenig fußfreundliche Umgebung, ganz raues Land, wildes Gebirge. All das finde ich inzwischen in der Altstadt, wo das immer noch als neu geltende Pflaster einen überraschend flotten Alterungsprozess hinter sich hat und nun an immer mehr Stellen spontan die Alpenfaltung nachstellt. Nirgends kann man besser stolpern als in der Altstadt. Ich will mich daher mit Reinhold Messner verabreden. Gemeinsam werden wir die Strecke vom Bolker Stern bis zum Uerige in Angriff nehmen. Ob wir das schaffen? Ohne Sturz? Ohne Sauerstoffflaschen? Danke für die Herausforderung, liebe Altstadt.
Düsseldorf hat so viel zu bieten. Man muss das alles nur erkennen. Wenn die Halsbandsittiche Sitzbänke zukoten, dann muss man das verstehen als Aufforderung zur Bewegung. Hintern hoch! Und um die Hinterlassenschaften der Kanadagänse kann man prima einen Slalom veranstalten. Üben wir eben unsere Phantasie. Sehen wir über die eine oder andere Widrigkeit hinweg und üben wir uns in Saus und Braus. Bestellen wir uns ein 95-Euro-Steak im Andreas-Quartier und danach kaufen wir einem Fifty-Fifty-Verkäufer alle Zeitungen ab. Einfach so, weil wir es können, weil wir 2017 klüger geworden sind und noch so viel vorhaben. Danke, liebes Jahr.
Begreifen wir 2018 deshalb einfach als große Chance auf neue Missverständnisse, als Ausbildungsstation auf dem Weg zur höheren Weisheit in der schönsten Stadt der Welt. Hoffen wir, dass unser rheinisches Hirn möglichst oft die Klappe halten möge. Dafür schon mal vorab danke, liebes Düsseldorf.