Wie Schreibabys ruhiger werden
Das Familiencafé steht verzweifelten Eltern zur Seite. Problem Nummer eins: Reizüberflutung.
Düsseldorf. Da freut man sich neun Monate lang auf die ersten Tage mit dem eigenen Kind, darauf, dass es endlich da ist und man es im Arm halten kann — und dann brüllt es nonstop. Immerzu scheint es unglücklich zu sein mit seinem jungen Leben. Und keiner weiß warum. Schreibabys sind eine Zerreißprobe für die Familie. „Man hat oft das Gefühl, Mutter und Kind kämpfen permanent miteinander“, sagt Anke Teesselink, Leiterin des Familiencafés im Gerresheimer Krankenhaus. Sie will es um jeden Preis beruhigen — und das Kind will sich um absolut keinen Preis beruhigen lassen. Das Familiencafé bietet Eltern von Schreibabys Beratung an.
„Oftmals rufen Mütter bei uns an und sagen: ,Mein Kind schreit ständig — aber ich weiß nicht, ob es wirklich ein Schreikind ist’“, sagt Teesselink. Tatsächlich gibt es eine offizielle Formel: Ein Schreibaby schreit mehr als drei Stunden an mehr als drei Tagen pro Woche und über mehr als drei Wochen. „Aber wir richten uns danach nicht“, erklärt Anke Teesselink. „Wenn es für die Mutter zu viel ist, gucken wir hin. Der Druck muss schon sehr groß sein, wenn sie uns anruft.“
Beraterin Beate Fuchs hat in ihrer Laufbahn echte Härtefälle erlebt. Sie erinnert sich an einen sechs Monate alten Jungen, der seit seiner Geburt fast ständig gebrüllt hatte. „Manchmal fing er in einer Nacht 15 Mal zu schreien an“, sagt Fuchs. „Die Eltern waren am Ende. Gerade die Mutter war völlig entnervt. Und sie haben alles versucht — wie die meisten Eltern.“ Herumlaufen, schaukeln, mit dem Kind auf dem Arm auf einem Sitzball hüpfen. Sehr bemüht. Aber leider genau falsch, sagen die Expertinnen.
Denn das massive Schreien eines Säuglings — gleich ob eine Stunde oder vier — ist Ausdruck einer Regulationsstörung. Von gigantischem Stress, den das Kind nicht anders bewältigen kann. Und der kann sogar schon vor der Geburt beginnen: Bei 70 bis 80 Prozent der Schreibabys gab es bereits in der Schwangerschaft Komplikationen. Und dann geht es in die große, hektische Welt — die auch immer noch hektischer wird. „Das Umfeld der Kinder war früher definitiv ruhiger“, sagt Beraterin Fuchs. Heute laufe der Fernseher, das Kind müsse überallhin mitgenommen werden, oft bekomme es massenhaft Angebote: Vom Babyschwimmen geht es zum Pekip, dann zur Säuglingsmassage. Die Folge: Reizüberflutung. Auf die sensiblere Kinder eben mit Gebrüll antworten.
Wer das Kind also mit Geschaukel, Rasseln oder dergleichen vom Schreien ablenken will, gibt ihm nur noch mehr Anlass zur Verzweiflung. „Das Wichtigste ist, das Ruhe einkehrt“, sagt Beate Fuchs. Und das ist schwer, wenn das Kind immerzu brüllt. „Das Schreien ist so dominant und im Fokus — dann verliert man den Blick für alles andere“, sagt Anke Teesselink. Das versuchen die Beraterinnen zu durchbrechen. Damit die Eltern überhaupt die Energie haben, Beruhigungsstrategien für ihr Kleines zu finden — und sie über mindestens eine Woche zu erproben, statt von Methode zu Methode zu springen. Beate Fuchs erinnert sich an ein Schreibaby, das sich beruhigte, wenn es in einer Wippe saß und der Mutter beim Bügeln zusah, einfach voll in den Alltag integriert war. Viel Zeit zu Hause und ein gut strukturierter Tag seien ohnehin wichtig. „Aber das A und O sind die Eltern“, sagt Fuchs. Sie müssen lernen, trotz Dauerbeschallung aus der kleinen Kehle für eine entspannte Atmosphäre zu sorgen. „Und sie dürfen sich selbst nicht vergessen“, sagt Beate Fuchs. Das sei oft die größte Herausforderung.