Kolumne: Woche 7 im Home-Office mit Kindern in Zeiten von Corona Arbeiten zwischen Badezimmer und Wohnzimmerhöhle
Düsseldorf · Bis die Kleinen wieder in die Kita oder Schule können, dauert es möglicherweise noch lange. Das Home-Office mit Kindern in Zeiten des Coronavirus ist jedoch kein Selbstläufer. Das braucht einen ausgefeilten Plan.
Man sagt mir nach, ich nehme es mit Macken etwas zu genau. Ich mache sie bei anderen innerhalb weniger Wochen aus. Zu Beginn finde ich sie meist ganz zauberhaft, nach wenigen Monaten, manchmal sogar nur Tagen, können sie mich aber auf die Palme bringen. Ich denke heute noch mit Schrecken an den ersten Urlaub mit einer meiner liebsten Freundinnen, als wir beide am Strand liegend die Sonne genossen, sie mit einem Buch in der Hand. Ich glaube, es war der dritte Tag, an dem mir auffiel, dass sie den Fuß bei jeder umgeschlagenen Buchseite nach außen drehte. Am vierten Tag musste ich weggucken.
Ich dachte, dass es sich zumindest bei meiner Familie anders verhalten würde. Bei den eigenen Kindern dürften doch Macken ausnahmslos abgöttisch geliebt werden. Eine Mutter genervt von den Essgeräuschen ihrer sechsjährigen Tochter? Wie muss diese Mutter denn drauf sein? Nun ja, vielleicht befindet sich diese Mutter seit knapp sieben Wochen mit Ehemann und drei Kindern zu Hause. Ohne soziale Kontakte, außer es ruft mal jemand an. Und selbst dann wollen die schmatzenden Kinder erst mal wissen, wer am Telefon ist, wie lange das Gespräch dauern wird und ob sie nun auch mal sprechen dürfen. Zur Not stellen sie diese Fragen auch vor der geschlossenen Badezimmertür, akustisch begleitet von dem jammernden kleinen Bruder. Ich hätte nie gedacht, dass gerade das Badezimmer mein neuer Rückzugsort werden könnte, um Telefonate zu führen. Der einzige abschließbare Raum. Wie würde sich wohl ein kleiner Schreibtisch hier machen? Und ein Schallschutz? Ach nein, dafür müsste ich ja zum Baumarkt. Ohne Kinder.
Die siebte Woche Homeoffice startet mit einem leicht verzweifelten Zwischenton. Es waren anstrengende Tage. Und die Aussicht ist wenig tröstlich. In den kommenden Tagen bin ich allein mit den Kindern. Und ich habe jetzt schon das Gefühl, in vielen Situationen komplett zu versagen. Wie übermotiviert war ich, als das unfreiwillige Experiment begann. Wie viele Listen wurden geschrieben, mit sinnvollen, angeleiteten Beschäftigungsideen für die Kinder. Und wie gut lief es bisweilen. Vielleicht zu gut.
Nach und nach ließ ich, von der Selbstständigkeit meiner Kinder beschwingt, die Fäden lockerer. Weil man ja nun mal alles mit einem pädagogischen Etikett versehen kann, nenne ich es in diesem Fall das „freie Spiel“, das die Kinder immer mehr perfektionierten. Nach dem Frühstück rennen sie los und arbeiten an ihrem Tagesziel, die Wohnung zu verwüsten. Sie drehen ihre Kinderzimmer auf links und richten jeden Quadratmeter als Höhle her. Ohne nur eine Minute in einer dieser Höhlen zu wohnen. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang immer gerne an meinen guten Freund Tobias, der vor Jahren, in der Phase verklärter Vater-Vorfreude steckend, versicherte, sein Wohnzimmer werde für immer spielzeugfrei bleiben. Süß. Wir haben nie wieder über seinen Vorsatz gesprochen, auch nach der Geburt seines zweiten Kindes nicht. Ein leicht überhebliches Lächeln konnte ich mir aber bei all meinen Besuchen nicht verkneifen.
Während die Kinder also ins Spiel vertieft nach und nach jede Kiste ausschütten, halte ich die Luft an, um bloß nicht aufzufallen. Ich versuche optisch mit der Kulisse zu verschmelzen. Je nach Verwüstungszustand funktioniert das sogar. Erst wenn ein bis drei Kinder schreien, geht es über in Phase zwei: weiteres Totstellen und anhand des Tonfalls überlegen, ob Phase drei eingeleitet werden muss: trösten. Diese Phase ist dringend zu vermeiden, weil besonders Kind Nummer drei in acht von zehn Fällen das Herumtippen auf dem Laptop dem Weiterspielen vorzieht. Phase vier ist also der Versuch, das Kind davon zu überzeugen, noch die verbleibenden Schubladen auszuräumen. Das eigene Scheitern führt ohne Umschweife zu Phase fünf: Das vorzeitige Ende des Arbeitstages, bis dieser meist erst abends fortgesetzt werden kann.
Ich dachte wirklich, ich habe einiges hier im Griff. Es war ein schleichender Prozess bis zum aktuellen Zustand. Während ich mich und die Genitiv-Verwendung meines Zweijährigen in Woche drei feierte, wird mein Versagen in Woche sieben mit einem knackigen Wort aus demselben verschmitzten Mündchen auf den Punkt gebracht: Kacka-Mama. Zu meiner Ehrenrettung: Nicht nur ich bin kacka. Auch meine Schwägerin, die an der Tür etwas abgab, hatte schnell ihren neuen Namen weg. Auch das Erbsenpüree ist oft richtig kacka oder auch das Paar Schuhe, das quer durch den Raum geworfen wird, wenn der Klettverschluss mal wieder nicht mitspielt. Ob es nun tatsächlich mein Versagen als Mutter ist oder das Abfärben des Wortschatzes der Großen, mit denen er seit Wochen durchgehend zusammen ist – keine Ahnung. Ich weiß nur, dass wir das alles ganz allein einem Virus zu verdanken haben und ich langsam die Nase voll habe. Kacka-Corona.