Wuppertal, der Un-Ort: Guckt da überhaupt einer hin?
Für Düsseldorfer ist Wuppertal nicht mal feindliches Ausland, sondern ein Un-Ort. Allerdings verpassen sie dadurch ziemlich viel.
Düsseldorf. „Wuuuppertal?“, sagt der Kollege. Schon dieses dunkle, dieses gedehnte „u“ signalisiert die ungeheure Verachtung. „Mit der Schwebebahn bin ich schon mal gefahren. Und was soll ich da jetzt noch?“ Der Kollege spricht nur aus, was viele Düsseldorfer denken.
Köln ist für Düsseldorfer wenigstens feindliches Ausland. Wuppertal aber gilt als Un-Ort, eine Terra Incognita in gerade mal 25 Kilometer Entfernung: Das interessiert nicht, darüber redet man nicht, und da muss man schon auch nicht hinfahren. Den Düsseldorfer Blick auf Wuppertal gibt es gar nicht. Wer nicht hinfährt, kann schließlich auch nicht hingucken.
Allenfalls Viertel-Seitenblicke riskiert der Düsseldorfer, das heißt, sie passieren ihm mehr aus Versehen. Womöglich gleitet der Blick des Kleinparisers vom Rhein (so die immer wieder gern zitierte Selbsteinschätzung) über alles hinweg, was nicht glitzert und glänzt, prunkt und prangt wie an der Kö. Ein Pendant zur „Bling Bling“-Meile gibt es tatsächlich nicht in Wuppertal, wollen die Leute da auch nicht. Sie haben lieber etwas bodenständig Solides statt Parfum-Schwaden-Schickimicki.
Zugegeben: Der Düsseldorfer hat es wirklich nicht leicht, vom Wuppertaler etwas mitzubekommen. Zu dessen Wesen gehört nämlich, bloß kein großes Gewese zu machen. Das lässt sich leicht vom protestantischen Erbe des sektenreichen „Muckertals“ ableiten, passt auf jeden Fall aber nicht zum flamboyanten, ausgelassenen Rheinland.
Wenn hier die Kunstsammlung NRW zur Feier ihres 50. Geburtstages mit goldenen Karten einlädt, findet in der Landeshauptstadt keiner etwas dabei. In der östlichen Nachbarstadt würden die Bürger darüber peinlich berührt den Kopf schütteln: „Macht man nicht.“ Die Düsseldorfer sind großzügig gegenüber ihren Museen, hängen das auch munter an die große Glocke.
In Wuppertal ist die Tradition kulturfreundlicher Unternehmer mindestens ebenso lang. Ohne ihre Zuwendungen wäre das Von der Heydt-Museum nie gegründet worden, würde es heute viele Ausstellungen, manches im Theater- und Opernbereich und in der freien Szene gar nicht geben. Aber das regelt man nach alter Väter Sitte dezent — deswegen dringt das aus der Bergischen Metropole nicht so leicht ans Düsseldorfer Ohr.
Apropos Bergisch: Hartnäckig hält sich die Vorstellung, die Gegend um Wuppertal, Remscheid, Solingen und dahinter hieße wegen der vielen Berge so. Stimmt aber nicht. Erstens sind es nur Hügel, und zweitens stammt der Name von den Herzogen von Berg (die — um die Verwirrung komplett zu machen — auf Schloss Burg residiert haben). Das hält den Flachländer nicht davon ab, die 350 000-Einwohner-Stadt als archaisches Bergdorf anzusehen. Deshalb läuft er bei leider doch nicht zu vermeidenden Pflichtterminen in Montblanc-tauglichem Hardcore-Schuhwerk auf.
Denn auch modisch liegen die Städte in verschiedenen Sonnensystemen. In Düsseldorf dürfte man es kaum schaffen, irgendwo zu overdressed, zu teuer und überparfümiert aufzulaufen. An der Wupper fällt man mit Extravaganz auf. Wer etwas schräg durch die Straßen läuft, wird angestarrt und gelegentlich von entgeisterten Rufen aus offenen Fenstern begleitet: „Kumma, kumma, die da!“
Im Wuppertaler Opernhaus kann man dafür Studien zur Historie festlicher Garderobe treiben, denn da werden selbstbewusst jahrzehntealte Gewänder aufgetragen: „Wieso? Das ist doch noch gut.“ Schon der Schriftsteller Heinrich Böll, der neugierig genug war, hinzureisen, hat festgestellt: „Wuppertal schminkt sich nicht.“
Alle Verständigungsprosa wird nichts nützen. Wuppertal kann das Tanztheater, den Skulpturenpark und demnächst wieder eine Impressionisten-Ausstellung haben, die grünste Stadt Deutschlands ist es sowieso, wie vor kurzem festgestellt wurde. Das Interesse der Düsseldorfer wird das nicht wecken. Auch künftig wird der Weg vom Rhein an die Wupper weiter sein als umgekehrt. Schade für die Rheinländer, die nicht einmal wissen wollen, was sie verpassen.
Einen finalen Trost hält der genaue Beobachter Böll aber auch für sie bereit: „Über die Wupper gehen — diese Redensart hat im Rheintal einen düsterdrohenden Klang. Seit ich Wuppertal kennenlernte, habe ich das Drohende dieser Redensart nicht mehr empfinden können.“