Düsseldorfer Literaturtage Auf Zeitreise mit Mithu Sanyal

Oberbilk · Die Schriftstellerin las in der Oberbilker Christuskirche aus ihrem zweiten Roman „Antichristie“.

Mithu Sanyal las aus ihrem neuen Roman „Antichristie“.

Foto: Claudia Hötzendorfer

. (clhö) Passender hätte der Ort für eine Lesung aus Mithu Sanyals neuem Roman „Antichristie“ kaum gewählt sein können: Die Kulturwissenschaftlerin präsentierte im Rahmen der Literaturtage Düsseldorf Auszüge aus ihrem Buch in der Oberbilker Christuskirche. Im Gespräch mit Maren Jungclaus vom Literaturbüro NRW gab Mithu Sanyal Einblicke in die Entstehung ihres zweiten Romans. Das Team der Christuskirche um Pfarrer Lars Schütt hatte dafür mit Teppich, Stehlampe, Sesseln für Sanyal und Jungclaus sowie Sofas fürs Publikum eine angenehme Atmosphäre geschaffen. „Über ein Buch zu sprechen, ist das Tollste, was man machen kann. Als Autorin war ich solange allein mit dem Text“, sprudelte es aus Mithu Sanyal heraus. Wer die Journalistin und Moderatorin kennt weiß, dass eine Lesung mit ihr, nicht bloßes Vortragen ist. Vielmehr ist es wie in ihren Büchern: ein Eintauchen in viele Themen, die alle einen Bezug zu dem haben, was sie in ihren Romanen erzählt und gekonnt miteinander verwebt.

Nach viel beachteten Sachbüchern hatte Mithu Sanyal 2021 mit „Identitti“ ihr Romandebüt vorgelegt – im gleichen Jahr landete sie damit auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Ausgezeichnet wurde sie dafür mit dem Literaturpreis Ruhr und dem Ernst-Bloch-Preis. In „Identitti“ erzählt Sanyal von einer Düsseldorfer Professorin für postkoloniale Theorie, die sich als Inderin ausgibt. Auf dem Roman basieren ein Hörspiel und die gleichnamige Bühnenfassung, die erfolgreich im Dhaus aufgeführt wurde.

Konzentrierte sich Mithu Sanyal in „Identitti“ auf die aktuelle Identitätspolitik, stößt sie in „Antichristie“ die Debatte zum Umgang mit Kolonialismus und die Frage nach der Gewalt in uns allen an. Ein großer Bogen, den die Düsseldorferin da spannt. Er beginnt in London 2022, während der sieben Tage andauernden Trauer um Queen Elizabeth II.

Autorin setzt ernste
Stoffe unterhaltsam um

Um einen Eindruck von ihrer energiegeladenen Erzählkunst zu bekommen, las Sanyal zu Beginn der kurzweiligen rund zwei Stunden einige Szenen aus „Antichristie“ vor, in der sich Protagonistin Durga von ihrer überraschend verstorbenen Mutter Lila verabschiedet. Gleich mit den ersten Sätzen wurde das Publikum in der Christuskirche in die Welt der Drehbuchautorin Durga hineingezogen. Diese arbeitet an der Verfilmung eines Agatha Christie Krimis mit, die frei von jeglichem Rassismus sein soll.

So ernst die Stoffe sind, die in ihren Romanen verhandelt werden, so unterhaltsam setzt sie die Autorin um. Während des Vorlesens schlüpfte sie dabei zum Beispiel in die Rolle von Durgas schottischem Ehemann Jack – mit entsprechendem Zungenschlag und typisch britischem Humor. Durga wird zur Zeitreisenden und landet im London um 1906. Ganz nebenbei mutiert die fünfzigjährige Tochter eines Inders und einer Deutschen dabei zu einem jungen Mann. Nur die dunkle Hautfarbe und das Wissen aus der Zukunft bleiben ihr erhalten. Sie trifft im „India House“ indische Revolutionäre und muss feststellen, dass selbst der als gewaltfrei geltende Ghandi keineswegs auch immer so gedacht hat. So überbordend Mithu Sanyal ihrer Fantasie freien Lauf lässt und zwischen Genres hin und her springt, so scheinbar mühelos schafft sie es, Fakten, historisch belegte Zitate bekannter Persönlichkeiten und aktuelle Debatten in die Handlung mit einzuweben. Sie habe, erzählte sie Maren Jungclaus auf die Frage zur Arbeit am Manuskript, zuhause eine lange Tapetenrolle mit Notizen gehabt und sich immer wieder den Text laut vorgelesen, bis alle Handlungsstränge und Zeitebenen für sie stimmig waren. Für die Recherche hat die Journalistin viele Originaltexte gelesen, darunter auch von Ghandi. Besonders diese Lektüre habe sie ernüchtert, gab Sanyal zu, die seine Handlungen danach kritisch hinterfragte. Es gab viele Denkanstöße an diesem Abend, zum Beispiel, den britischen Kolonialismus einmal aus Sicht der Inder zu betrachten. Maren Jungclaus brachte es auf den Punkt, als sie zum Abschluss der Veranstaltung schmunzelnd anmerkte, „Mithu, Interviews mit dir machen großen Spaß, man muss nur ein Stichwort geben und wir sind schon wieder mittendrin in einer neuen Geschichte“.

Info Am Mittwoch, 23. Oktober, dreht sich im Rahmen der Literaturtage Düsseldorf alles um Literaturzeitschriften. Beginn ist im FFT ab 19 Uhr. Infos und weitere Termine unter: www.literaturtage-duesseldorf.de.