Begrabt mein Herz in Wuppertal „Ich träume von einer autofreien und begrünten Stadt“

Kolumne | Wuppertal · Satiriker Uwe Becker schreibt in der Kolumne „Begrabt mein Herz in Wuppertal“ über seine Stadt. Im aktuellen Teil erklärt er, warum für ihn „motorisierte Personen“ in der Regel Populisten sind.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Motorisierte Personen jammern über Baustellen. Gerne melden sie sich in den Sozialen Medien zu Wort: „Baustellen in Wuppertal werden nie fertig“. Anderswo werden Baustellen schneller fertig, sagen sie. Darüber schmunzelt der Kölner und die Düsseldorferin, aber das nur am Rande. Ich bin froh, dass ich nicht in der Stadtverwaltung arbeiten muss, bei so einer größtenteils quengeligen Bevölkerung, die selbst an gleicher Stelle wahrscheinlich noch mehr falsch machen würde.

Motorisierte Personen sind in der Regel Populisten. Sie wollen fließenden Straßenverkehr. Keine Schlaglöcher im Asphalt, keine Fahrräder neben sich. Sie wollen einfach nur in aller Ruhe mit ihren Verbrennern durch die Gegend brettern. In vielen Städten, so behaupten jedenfalls viele dieser Personen, soll es noch nie eine Baustelle gegeben haben, und wenn doch, dann nur für ganz kurze Zeit, oft war die Maßnahme früher beendet, als vorhergesagt. Viele Motorisierte in unserer Stadt sind geprägt vom Opportunismus und volksnaher, oft demagogischer Politik. Sie neigen zur Dramatisierung, haben eine wahnsinnige Angst vor Veränderungen und roten Ampeln. Motorisierte Personen haben keine Muße. Stillstand ist ihr größter Feind.

Aktuelles Beispiel: Die Sanierung der Loher Brücke verzögert sich um ein paar Monate. Alle heulen rum, wie übermüdete Kinder. Ich dagegen freue mich, weil ich nicht motorisiert bin. Brücken können mich mal gerne haben. Alle Bauarbeiter sollen schön in Ruhe alles reparieren und sich bloß nicht verrückt machen lassen. Lieber jede Schraube zweimal nachziehen. Bei Brücken ist höchste Sicherheitsstufe angesagt. In Dresden kann man gerade nur über sechs Brücken gehen – die Puhdys haben den Text ihres Hits bereits aktualisiert.

Ich schwebe übrigens gerne über Baustellen, und zwar günstig mit dem Deutschland-Ticket. Motorisierte Personen wollen nicht mit Öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Es ist ihnen viel zu teuer, sie kaufen sich Einzelfahrscheine, weil sie keine Mehrfachfahrscheine kennen – sie wollen ja auch nur fahren, wenn es nicht anders geht. Viele von ihnen wissen nicht mehr, wo sie sich in der Schwebebahn festhalten können, weil die letzte Fahrt dreißig Jahre her ist, als sie zu D-Mark-Zeiten mit Frau und Kind im Zoo waren. Sie tanken lieber, weil der Geruch von Benzin sie in Euphorie versetzt. Im Grunde verabscheuen sie Elektrofahrzeuge. Sie sind zu leise. Und bis alle Tankstellen super schnelle Ladestationen haben, sind viele schon zu alt zum Autofahren. Motorisierte möchten nicht im Bett sterben, lieber in ihrem Alfa Romeo oder Fiat Panda, Volvo oder Audi.

Die Fahrerlaubnis muss man zu alten motorisierten Personen per Gerichtsbeschluss entziehen, wenn sie bockig sind. Autofahren ist eine perfide Droge, die abhängig macht und in letzter Konsequenz sterben irgendwann alle. Motorisierte Personen, die keiner Arbeit nachgehen, sitzen am liebsten den ganzen Tag in ihrem Auto. Männer warten vorm Frisörgeschäft auf ihre Frau. Manchmal steigen sie aus, wenn es länger dauert als erwartet, rauchen eine Zigarette, schauen sich den Lack auf dem Dach ganz genau an, und sehen plötzlich kleine Bläschen, Lackschäden vom Hagel? Sie schütteln ihren Kopf, wissen es nicht, setzen sich wieder rein, schauen ins Handy. Dann kommt ihre Frau mit neuer Frisur. Sie steigt ein. Der Mann fährt sofort mit quietschenden Reifen los.

Motorisierte Personen sind natürlich nicht alle so, wie dieser Mann. Viele sind schlimmer. Sie treffen sich mit anderen Motorisierten und veranstalten Autorennen auf der B7. Sie wünschen sich, genau wie der CDU-Boss, einen Autogipfel, weil Zulieferer der Autoindustrie zur Zeit Schwierigkeiten haben. Daran ist die Ampel Schuld, sagen sie. Und nun gibt’s dazu noch ein großes Haushaltsloch im Stadtsäckel? „Jetzt gehört das Pina-Bausch-Zentrum, was soll dieses Gezappel überhaupt, und die Bundesgartenschau auf den Prüfstand!“

Diese Personen träumen davon, dass CDU-Chef Slawig auf dem Autogipfel mit bloßen Händen Fahrräder verbiegt. Sie wünschen sich einen neuen, autofreundlichen Oberbürgermeister. Viele, die ihn nicht mögen, nennen ihn nur Bürgermeister, einige aus Unwissenheit, andere aus Bosheit. Nichtmotorisierte und motorisierte Personen sollten in Frieden miteinander leben können. Aber geht das überhaupt? Ich beispielsweise habe unter meinen Freundinnen und Freunden motorisierte Personen, die zudem gerne schnell fahren, was ich persönlich abgrundtief verachte. Dies macht das Miteinander natürlich nicht einfacher.

Früher, das gebe ich zu, war ich anders. Nein, ich habe und hatte nie selbst einen Führerschein. Als ich jung war, habe ich mich nur in Mädchen verliebt, die ein Auto hatten. Ich konnte diesen schlimmen Charakterzug nie wirklich ganz ablegen. Nur ein oder zweimal verliebte ich mich in Mädchen ohne Führerschein, die sich kurze Zeit später aber nach einem motorisierten Jungen umsahen. Na ja, Schwamm drüber, so nett waren sie nicht.

Ich träume heute von einer autofreien und stark begrünten Stadt, in der wenige Ampeln, umfunktioniert als Mahnmale, auf früher starkbefahrenen Straßen erhalten bleiben, versehen mit der Inschrift: „Nie wieder ist jetzt!“ Allerdings sind meine Wunschträume für radikal motorisierte Personen eher Albträume, die sie nachts das Fürchten lehren und voller Angstschweiß erwachen lässt.