Doppelpremiere in Düsseldorf Zurück bleiben Dämon und Fassungslosigkeit
Düsseldorf · In einer Doppelpremiere bringt das Schauspielhaus Düsseldorf die Romane von Marlen Haushofer und Max Porter auf die Bühne. Es sind zwei stille Kostbarkeiten im Spielplan.
Und draußen, mitten im neuen Tal, das den Namen seines Schöpfers Ingenhoven trägt, ist Advent. Mit Reibekuchen, Karussell und Glühwein. Während sich drinnen im Theater im alten Gebirgstal die Welt abgeschottet hat. Eine unsichtbare Wand, plötzlich über Nacht erstanden, riegelt die namenlose Frau zur vermeintlichen Welt ringsum ab. Es gibt kein Entkommen, keinen Kontakt, nur noch den Überlebenskampf.
Diese unheimliche Geschichte, die Marlen Haushofer (1920-1970) unter dem Titel „Die Wand“ 1963 veröffentlichte und die vor gut zehn Jahren mit Martina Gedeck verfilmt wurde, hat es jetzt auch auf die Bühne im Düsseldorfer Schauspielhaus geschafft. Wobei Bühne vielleicht nicht das passende Wort ist. Weil Hanna Werth dieses Schicksal in einem bühnenbreiten, flachen Wasserbecken spielt, aus dem nur ein toter Baum mit schaurigem Geäst herausragt.
Darauf kraxelt, läuft und kauert sich Hanna Werth, springt ins Wasser, wälzt sich im Wasser, reinigt sich, hüpft durch die Fluten. All das aber wird nie zum Spektakel, sondern bleibt das Biotop des Unbestimmten. So wenig fassbar, greifbar, bewusst und definierbar das Element ist, so nebulös ist auch das Dasein der Frau, die da berichtet. Ist das alles nur ein Albtraum, eine Psychose, Projektion eines Weltuntergangs? Ein Sinnbild weiblicher Selbstermächtigung oder – sehr klein gedacht – die Erfahrung eines Lebens in Quarantäne?
Haushofers Text ist ein Deutungsuniversum, und Werth führt uns hindurch. Mit ihrem Erstaunen und Erschrecken, plötzlich auf sich allein gestellt zu sein, ihrem Mut, mit Hund, Katze und Rind zu leben, Kartoffeln anzubauen, ein paar Bohnen, ein bisschen Obst; und die mit der Zahl der verfügbaren Streichhölzer sehr nüchtern errechnet, wie lange ein Überleben noch möglich ist. „Heute, am fünften November, beginne ich mit meinem Bericht.“ So hebt der Roman an, so chronologisch gliedert sich ihr Monolog. Von Datum zu Datum, von Ereignis zu Ereignis wird der zum Logbuch einer – wie sagt man? – nackten Existenz. Wie es ist, wenn die Natur sich alles Zivilisatorische Stück für Stück zurückerobert, wie Identitäten sich in Namenlosigkeiten auflösen und keine Zeit vergeht, weil man selbst die Zeit ist.
Laura Linnenbaum führte
in beiden Stücken Regie
Werth spielt dieses Drama nicht, sie durchlebt es, bis zur Grenze der auch körperlichen Erschöpfung: verstrickt ins Selbstgespräch, in Klage und Anklage, versöhnt in wenigen Glücksmomenten. Das Ende aber ist rasend. Ein Mann dringt in diese Welt ein und mit ihm die Zerstörung. Er tötet Stier und Hund – und die Frau wehrt sich. Unsere Fassungslosigkeit ist die einzig mögliche Antwort darauf. „Die Wand“ ist der zweite Teil eines ungewöhnlichen, zweifachen Premierenabends. Den Anfang machte „Trauer ist das Ding mit Federn“, ebenfalls eine Romanadaption. 2015 ist das Buch erschienen und war das hochgelobte Debüt des Briten Max Porter. Dass sich auch die Geschichte eines Mannes und seiner beiden Söhne über den Verlust der geliebten Ehefrau und Mutter im Wasserbecken mit Baum ereignet, ist nicht mit bühnentechnischer Zweckmäßigkeit begründet und nur ein bisschen mit Laura Linnenbaum, die in beiden Stücken Regie führte. Vielmehr wird auch hier das Element des Unbewussten zum passenden Terrain sämtlicher Gefühls- und Gedankenwelten. Thiemo Schwarz gibt den „Dad“, der absoluter Ted-Hughes-Experte und -Jünger ist. Die haltlose Trauer des Dichters nach dem Suizid von Ehefrau Sylvia Plath wird diesem trauernden Dad zur Folie seines eigenen Lebensabgrundes. Immer wieder sind es auch die „Jungs“ (ergreifend authentisch von den Nachwuchsschauspielern Nils David Bannert und Jacob Zacharias Eckstein gespielt), die den freien Fall stoppen.
Der Vierte im Bunde ist – eine Krähe. Und das ist die mit Abstand dankbarste Rolle an diesem langen Theaterabend, was nicht die grandiose Leistung von Kilian Ponert schmälern soll, der als Krähe das ist, was uns im Roman so aufdringlich begegnete: etwas Unberechenbares, Unbegreifliches, nicht sehr nett, dafür sehr eigen, und insgesamt unheimlich. Ponert klackt mit den Zähnen, stolziert einher, fläzt sich im Wasser, erschreckt die Menschen und wird erschrocken. „Außer in Trauer finde ich Menschen langweilig“, jubiliert er. Und: „Mutterlose Kinder sind Krähe pur.“ Die Krähe ist weder Therapeut noch Ratgeber, kein Freund, kein Feind, eher ein Dämon, der nicht mehr nötig wird, wenn die Trauer verflogen ist. Der Roman musste für die Bühne nicht umgeschrieben werden, weil schon das Buch fast dialogisch wirkt. Wobei das unheilvolle Gestammel, die Wort- und Gedankenfetzen der Krähe dem Trauerbuch jene surreale Note geben, die uns schwer loskommen lässt von Trauer, Tod und Weiterleben.
Nach drei Theaterstunden ist draußen, im Advents-Kirmes-Tal, Ruhe eingekehrt. Beide Stücke sind stille Kostbarkeiten. Sie zu erleben, ist ein Glücksfall; Doppelaufführungen aber eine Herausforderung.