Das Ende des Bergbaus Braver Bergmann, böser Baggerfahrer

Bottrop · Während das Ende der letzten Steinkohle-Zechen mit Bergmanns-Romantik und Ruhrpott-Folklore zelebriert wird, gibt es keinen gesellschaftlichen Konsens mehr, den Braunkohle-Kumpeln ähnlich viel Zeit für den Ausstieg zu gewähren. Morgen demonstrieren sie in Köln.

Kumpel zu sein, das war der Adel der Arbeiterklasse. Ende 2018 ist in der Zeche Prosper Haniel endgültig Schicht im Schacht.

Foto: dpa/Oliver Berg

Wenn am 21. Dezember 2018 mit einem Festakt auf der Zeche Prosper-Haniel das letzte Stück Steinkohle an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übergeben wird, ist der deutsche Steinkohlenbergbau nach mehr als 200 Jahren Geschichte. Dieses letzte Stück Kohle für Steinmeier ist längst aus 1200 Meter Tiefe über Tage gebracht worden. Bereits seit dem 14. September ist die Regelförderung auf Prosper-Haniel eingestellt. Als NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) drei Tage später zur letzten Grubenfahrt kam, hatten viele der zuletzt 1006 Kumpel unter Tage ihre eigentliche Arbeit bereits eingestellt.

Walzenräder liegen demontiert zum Abtransport bereit

Es gibt immer noch Grubenfahrten in Bottrop. Letzte Besuchergruppen, vor allem Angehörige von Kumpeln, fahren sporadisch immer noch ein. Aber im Baufeld Prosper-Nord, wo Laschet im Flöz Zollverein noch im September neben der gigantischen Abbau-Walze stand, weht längst der Wind durch verlassene Strecken der Bauhöhe 124 im Revier 008. Die Walzenräder liegen demontiert zum Abtransport ins Museum bereit. Noch immer fahren Kumpel am Schacht 10 in das Bergwerk ein. Aktuell sind 1006 von 1438 Beschäftigten auf Prosper-Haniel unter Tage beschäftigt. Allerdings nicht mehr mit der Förderung, sondern dem Ausräumen der Grube. Die Kumpel wickeln ihre eigenen Arbeitsplätze ab, entsprechend ist die Stimmung.

Grubenfahrt führte in eine handfeste Männerwelt

Dagegen ist auch RAG-Pressesprecher Christof Beike nicht gefeit. Über Generationen führte eine Grubenfahrt nicht nur in das schwarze Herz des Berges, sondern auch in eine handfeste Männerwelt mit eigener Sprache, eigener Kultur und mächtigen Hightech-Maschinen, die es stauben, dampfen und krachen ließen. Zuerst die Seilfahrt im mehrgeschossigen Förderkorb auf 1200 Meter Tiefe, dann zu Fuß weiter bis zu den Förderband-Anlagen oder Ein-Schienen-Hängebahnen, den sogenannten Diesel-Katzen, in deren Waggons die Kumpel über Kilometer im Dunkeln durch mit Stahlbogen ausgebaute Strecken zu den Flözen fuhren. Kumpel sein, das war der Adel der Arbeiterklasse.

Selten waren die Flöze auf den Zechen so mächtig wie „Zollverein“ mit einer Höhe von 3,60 Metern, so dass die Männer unter den Hydraulik-Schilden aufrecht stehen konnten, die direkt vor der Kohle die Decken stützten. In den meisten Flözen rasten automatische „Hobel“ statt mächtiger Walzen durch die Strebe. Bei Bauhöhe 124 im Revier 008 war der Kohle-Streb 380 Meter breit. Auf einer Länge von 835 Metern fraß sich die Walze über diese Breite durch den Berg, 900.000 Tonnen Steinkohle waren hier zu holen. Die Temperaturen in der kohlestaubigen und zugleich feuchten Luft lagen durch die Hitze der Maschinen gefühlt bei 30 Grad. Nun zieht der Wind der Frischluft-Bewetterung deutlich kühler durch die Stille. Aus und vorbei.

Bei aller Wehmut weiß RAG-Sprecher Beike, was für ein Glück der geregelte Ausstieg aus dem Steinkohlen-Bergbau war. Schon als die RAG 1968 (damals hieß sie noch „Ruhrkohle“) gegründet wurde, war der Ausstieg das Ziel. Damals gab es 52 Bergwerke mit 183.000 Kumpeln. Keiner von ihnen fiel ins „Bergfreie“, zu deutsch: in die Arbeitslosigkeit. Als 2007 das endgültige Aus für 2018 vereinbart wurde, bekamen die Kumpel weitere elf Jahre Zeit eingeräumt. „Ich weiß nicht, ob wir so einen Beschluss heute noch einmal hinbekommen würden“, sagt Beike und beschreibt damit genau den Kontrast zwischen dem feierlichen Abschied vom Steinkohlen-Bergbau mit öffentlichen Veranstaltung unter großem Bevölkerungszuspruch und der Diskussion um den Braunkohlen-Tagebau. „Das ist ja auch ganz anders. Mit denen haben wir uns nie verglichen. Scherzhaft haben wir immer gesagt: Das sind ja eigentlich Baggerfahrer“, lacht Beike.

Was der Steinkohlen-Bergbau in NRW angerichtet hat, ist im Gegensatz zum Tagebau nicht sichtbar. RWE bietet regelmäßig geführte Touren zu den Rekultivierungsflächen, in Umsiedlungsorte oder zu Schaufelradbaggern.

Foto: dpa/Oliver Berg

Es ist diese völlig unterschiedliche Wahrnehmung, die in der öffentlichen Debatte keineswegs nur den Braunkohle-Kumpeln im Rheinischen Revier, sondern auch RWE, der ganzen Energiepolitik und dem Industriestandort NRW zum Verhängnis werden kann. Dabei geht es  – wie so häufig – nicht nur um Fakten, sondern um Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Es gibt wenige namhafte Politiker in NRW, von denen kein Foto von einer Grubenfahrt in weißer RAG-Kluft mit Helm auf dem Kopf und kohlverschmiertem Gesicht existiert. Steinkohle und Politik gingen und gehen in NRW immer eine Wahrnehmungs-Allianz ein. Aber es gibt fast gar keine Fotos, die Politiker mit Fahrsteigern von RWE stolz am Tagebau-Bagger zeigen.

Was der Steinkohlen-Bergbau angerichtet hat, ist nicht sichtbar

Was der Steinkohlen-Bergbau in NRW angerichtet hat, ist nicht sichtbar. Dass es am Niederrhein Kirchturmspitzen gibt, die optisch in den Himmel ragen, aber faktisch unterhalb der Höhe des Rheinbetts liegen  – unsichtbar. Dass die Essener Innenstadt heute 25 Meter tiefer als vor 200 Jahren liegt, als wäre die Stadt in einem Loch gebaut worden – unsichtbar. Dass das Bergrecht bis 1980 jedes Bürgerrecht brach, dass die komplette Infrastruktur (Kanäle, Straßen, Leitungen, Fundamente) ganzer Ortsteile vernichtet (und mit Gönner-Geste entschädigt) wurde – unsichtbar.

Dass ein niemals mehr heilbarer Ewigkeitsschaden zurückbleibt, der ganze Landstriche zwischen Krefeld und Xanten unbewohnbar macht, wenn nicht für immer Wasser abgepumpt wird – unsichtbar. Und sogar noch die Auswirkungen des letzten Abbaus der Zeche Prosper-Haniel auf die darüberliegende Kirchhellener Heide sind – unsichtbar. Es stehen Wiesen und Bäumen über Tage, es fallen keine Kühe um, die Heide ist schön.

Alle sichtbaren Bilder, die sich mit der Braunkohle verbinden, sind dagegen Bilder der Zerstörung. Kirchen werden abgerissen, Dörfer entvölkert, Menschen entwurzelt, Wälder gerodet, archäologische Stätten durch die Kamine der Kraftwerke gejagt. Die Sichtbarkeit von Zerstörung und gesellschaftlich ansteigendem Widerstand drückt sich in der Auseinandersetzung um den Hambacher Forst aus. Hilflos verlangte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz vor zwei Wochen mehr Rückendeckung aus Berlin und eine Trennung der Diskussion um die langfristige Perspektive des Strukturwandels von „kurzfristigen betrieblichen Vorgängen“ wie der beabsichtigten Rodung des Hambacher Forstes. Diese Schlacht hat RWE längst verloren, und der Konzern macht in der Kommunikation alles falsch, was man falsch machen kann.

Geführte Touren zum Schaufelradbagger

Im September lud die RWE Power AG „zu den Baggern nach Garzweiler“ ein. Es gab öffentliche Führungen für Einzelbesucher und kleine Gruppen im Tagebau Garzweiler. Erster Satz der Einladung: „Am Sonntag, 23. September kommen Baggerfans wieder voll auf ihre Kosten.“ Deutlicher kann man es ja kaum sagen: Die einen beschützen den Wald, die anderen sind Baggerfans. An diesem Wochenende  versuchte RWE es eine Spur sanfter: Am Samstag konnten sich Besucher  bei geführten Touren nicht nur als Baggerfans outen. Es gab Bus-Touren von den Aussichtspunkten in Jackerath und Hochneukirch zur „Wiederherstellung der Landschaft hinter dem Tagebau“ und zur „Errichtung neuer Dörfer im Tagebauumfeld“, dazu „geführte Touren zu den Rekultivierungsflächen und in neu errichtete Umsiedlungsorte“. Okay, und es gab „Fahrten zu einem Schaufelradbagger“.

Doch all das blieb am Wochenende unsichtbar. Die mediale Aufmerksamkeit folgte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der in der Moderation zwischen den Baggerfahrern und den Betroffenen, zwischen Unternehmens- und Umweltlobby sowie echtem Landesinteresse und zeitgeistigen Vorlieben wahrscheinlich mehr richtig macht als jeder NRW-Ministerpräsident vor ihm. Von den hilflosen RWE-Bemühungen dagegen gibt es nicht einmal Nachrichten-Bilder. Dass RWE bisweilen einen richtig guten Job macht und bei Vereinbarungen Wort hält, dringt nicht mehr durch. Vor vier Wochen hat RWE Power die beiden Niederaußemer Braunkohle-Kraftwerksblöcke „Emil“ und „Friedrich“ mit jeweils 300 Megawatt stillgelegt und in die „Sicherheitsbereitschaft“ überführt. Das bedeutet: Im Versorgungs-Notfall können sie binnen zehn Tagen wieder angefahren werden, in vier Jahren werden sie endgültig stillgelegt.

1000 Arbeitsplätze bei RWE Power gehen verloren

Diese Stilllegung bedeutet: Es gehen mit allem, was daran hängt, bei RWE Power 1000 Arbeitsplätze verloren, die schrittweise und sozialverträglich abgebaut werden sollen. Anders als den 1006 verbliebenen Kumpeln unter Tage auf Prosper-Haniel, zollt den Baggerfahrern und ihren Helfern niemand Respekt. Die beiden Niederaußemer Braunkohle-Kraftwerksblöcke „Emil“ und „Friedrich“ haben laut RWE insgesamt 200 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert, „genug, um die Einwohner der Millionenstadt Köln über 100 Jahre lang zu versorgen“. Ist das nichts?

Nach eigenem Bekunden setzt RWE die Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes von 2015 konsequent um. Es sieht die Überführung von insgesamt 2700 Megawatt Braunkohlestrom-Kraftwerksleistung in eine vierjährige Sicherheitsbereitschaft um. 1500 Megawatt Kraftwerkskapazität entfallen auf RWE. 2017 hat der Konzern die beiden letzten aktiven Blöcke des Braunkohle-Kraftwerks Frimmersdorf vom Netz genommen, im Oktober nun „Emil“ und „Friedrich“ in Niederaußem, im Oktober kommenden Jahres soll der Block C des Kraftwerks Neurath folgen. Die meisten Kraftwerke im Rheinischen Revier gruppieren um Grevenbroich herum. Wer als offizieller Besucher im Grevenbroicher Rathaus empfangen wurde, bekam lange Kohle-Bricket mit der schwarz-rot-goldenen Aufschrift „Bundeshauptstadt der Energie“ überreicht. Diese Wortmarke hatte Grevenbroich sich schützen lassen. Nach Jahrzehnten der CDU-Herrschaft wählte Grevenbroich 2014 erstmals mit Klaus Krützen einen SPD-Bürgermeister. Krützen ließ den „Bundeshauptstadt der Energie“-Slogan aus dem Besprechungszimmer im Rathaus entfernen; der Slogan wird nicht weiter verwendet, es gibt auch keine Besucher-Briketts mehr. Das letzte liegt in Grevenbroich im „Museum der Niederrheinischen Seele“. In der ist weiter Platz für Bergleute; die Baggerfahrer können sich da nicht so sicher sein.

Am Ende des Jahres soll die Bundes-Kommission „Strukturwandel, Wachstum und Beschäftigung“ einen Plan vorlegen, an dem die Öffentlichkeit nur eines interessiert: Das Ausstiegs-Datum der Braunkohle  – und was es für den Hambacher Forst bedeutet. Als ob es um den ginge. Derzeit ist der Vorsitzende der Bergarbeiter-Gewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis, derjenige, der am klarsten sagt, worum es geht: „Die Braunkohleverstromung steht für zwei Milliarden Euro Wertschöpfung im Rheinischen Revier. Sie ohne neue industrielle Investitionen und Innovationen auslaufen zu lassen, wäre ein Programm zur Deindustrialisierung der Region. Wir brauchen eine moderne, proaktive Strukturpolitik, um gute Industriearbeit im Rheinischen Revier langfristig zu sichern“, so Vassiliadis auf einer Standort-Konferenz in Inden.

Auf Prosper-Haniel, wo sie die letzte Kohle für den Bundespräsidenten gefördert haben, werden die Kumpel noch mindestens zwei Jahre mit dem Ausräumen der Grube beschäftigt sein. Viele moderne Hightech-Anlagen bleiben im Berg, die Zukunftsaufgabe hat vor allem mit Wasserwirtschaft zu tun. Nicht beerdigt aber wird der Traum. Ohne den Ausstiegsbeschluss vor elf Jahren wäre der Steinkohlenbergbau weiter nach Norden gewandert. „Wir haben in Deutschland nur acht von 24 Milliarden Tonnen gefördert. Noch 40 Jahre lang wäre eine Fördermenge von fünf bis sechs Millionen Tonnen jährlich machbar“, sagt RAG-Sprecher Christof Beike. Den Steinkohle-Kumpeln nimmt das keiner übel. Was man halt so nach der Schicht bei einer Currywurst redet. Wovon sollen Baggerfahrer träumen? Noch ein Dorf plattmachen? Den Hambacher Forst endlich roden? Wenn am Ende weder der Bundespräsident noch der Grevenbroicher Bürgermeister das letzte Stück Braunkohle haben wollen?

An der Ruhr sind sie bis heute stolz, auf Kohle geboren zu sein. Im Rheinischen Revier ist es ein Fluch. Es bedeutet den drohenden Verlust von allem. Wenn rund 1000 „Baggerfahrer“ am Mittwoch in Köln am Rheinufer unter dem Motto „Ohne gute Arbeit kein gutes Klima“ demonstrieren, sind sie bloß ein Fremdkörper.