Herr Kriegenburg, wer hat Lessings Stück ausgewählt? Sie oder das Schauspielhaus?
„Minna von Barnhelm“ im Schauspielhaus „Das Stück ist für alle Seiten ein Geschenk“
Düsseldorf · Der Opernregisseur über die hochaktuelle „Minna von Barnhelm“, die an diesem Samstag Premiere im Schauspielhaus feiert.
Marion Meyer
Andreas Kriegenburg, geboren 1963 in Magdeburg, ist ein renommierter Schauspiel- und Opernregisseur. Am Samstag feiert das von ihm inszenierte Lessing-Lustspiel „Minna von Barnhelm“ Premiere im Schauspielhaus.
Andreas Kriegenburg: Es war mein Vorschlag, denn es ist eines der Stücke, die ich schon lange machen will. Es ist eine wunderbare Geschichte mit sehr komplexen anspruchsvollen Rollen, aber auch eine Geschichte, die etwas Altmodisches besitzt, womit ich sowohl mich als auch die Schauspieler und Schauspielerinnen beglücken will. Das Stück ist für alle Seiten ein Geschenk, natürlich auch für die Zuschauer.
Grillparzer nannte „Minna“ das beste deutsche Lustspiel. Sehen Sie das auch so?
Kriegenburg: Das beste deutsche Lustspiel, das weiß ich nicht. Weil ich als großer Kleist-Fan natürlich an „Der zerbrochne Krug“ denke. Aber es ist ein unglaublich gut gebautes Stück, sowohl im Komödiantischen als auch in der düster-psychologisch-tragischen Ebene, in der Konstruktion, in den Verwicklungen und den Umschlagpunkten.
Wie geht man denn heute mit Tellheims Begriff
der Ehre um?
Kriegenburg: Mich interessiert besonders an dem Stück, dass es so altmodisch ist. Die Figuren sind altmodisch, Minna wie auch Tellheim. Aber für uns auf eine sehr lehrreiche Weise. Das ist ja nicht nur ein starrer Begriff der Ehre, den Tellheim verteidigt, sondern er verteidigt seine Verantwortlichkeit gegenüber Minna als einem von ihm geliebten Menschen. Er sagt ihr: „Ich kann der Ihrige nicht sein, da ich es in den Augen der Welt nicht sein kann.“ Er will sie nicht einer Belastung aussetzen, die er nicht auf sich nehmen will. Das finde ich gerade in heutigen Zeiten der Social Media, in der wir permanenten Angriffen ausgesetzt sind, im Altmodischen sehr, sehr modern.
Gibt es andere
aktuelle Themen?
Kriegenburg: Das Eigentümliche an dem Stück ist ja, dass es sich um lauter von der Wirklichkeit isolierte Figuren handelt. Der Krieg ist zu Ende, aber die Figuren treten auf der Stelle, wurden von der Zeit abgehängt. Gleichzeitig sehen die Figuren in der Freundschaft, in der Verbundenheit einen großen Wert. Absurderweise gibt es keinen Bösewicht in dem Stück: Alle beschützen und wertschätzen sich. Gerade weil es für uns sehr fremd wirkt, ist es aktuell.
Wie gehen Sie mit
Lessings Sprache um?
Kriegenburg: Sie wird viel geübt. Es ist eine ausgesprochene Wort-Aufführung, ohne jemandem Angst machen zu wollen. Große Teile der Probenzeit nutzen wir dafür, diese Sprache zurückzuerobern und sie für uns wieder geläufig und normal zu machen. Ein Genuss der Aufführung ist es, die Sprache nicht modernisiert zu erleben. Wir sind wahnsinnig kleinlich mit der Sprache!
Wenn Sie eine neue Bühneninszenierung beginnen, haben Sie Ihr Konzept dann bereits vorher im Kopf?
Kriegenburg: Dadurch, dass ich das Bühnenbild auch mache, ist mir die Welt, in die ich die Schauspieler schicke, schon klar. Dann versuchen wir, Probe für Probe eine größere Annäherung zu schaffen. Ich wusste vorher, dass es eine sehr psychologische, emotionale und sehr sprachgeführte Aufführung sein wird.
War die Besetzung Ihre Wunschbesetzung?
Kriegenburg: Ja, das sind sehr exklusive, aber in ihrer Verwobenheit miteinander schöne Rollen, bei denen die Genauigkeit der Besetzung die Hälfte der Erzählung ausmacht. Und für mich war es wichtig, die beiden Protagonisten nicht zu jung zu besetzen. Es ist eine Liebe, die sich um die Konsequenzen des eigenen Tuns klar ist.
Die Nebenfiguren sind
ja auch sehr wichtig
in dem Stück.
Kriegenburg: Ja. Die Beziehung zwischen Minna und Franziska ist ja ein Kleinod der deutschen Dramenliteratur.
Können Sie etwas vom Bühnenbild verraten? Ich kenne nur ein Bild mit einem Stuhlhaufen...
Kriegenburg: Dann kennen Sie im Prinzip das Bühnenbild (lacht). Wir sind in einer Zeit, in der nichts wieder in Ordnung ist und die Figuren zwischen einem Haufen übrig gebliebener Stühle agieren.
Als Sinnbild des
Zustands der Welt?
Kriegenburg: Als Sinnbild für die Unordnung, die noch in den Figuren herrscht. Ein Sinnbild für die Abstellkammer, für das noch nicht wieder Geordnete, das alle Figuren in sich tragen.