Prozess „Je weniger du weißt...“ - Erstes Geständnis zu Kokainhandel

Düsseldorf · Ein Angelparadies im Ruhrgebiet soll die legale Geschäftsfassade für internationalen Kokainhandel im Auftrag der Mafia gewesen sein. Eine von acht Angeklagten hat nun gestanden.

Die Angeklagten müssen sich wegen mutmaßlichen Drogenschmuggels vor Gericht verantworten. (Archivfoto)

Foto: Christoph Reichwein/dpa

Im Prozess um internationalen Kokainhandel im Auftrag der Mafia hat die erste Angeklagte in Düsseldorf gestanden. „Ich möchte reinen Tisch machen und ein Stück Wiedergutmachung leisten“, sagte die 45 Jahre alte gelernte Rechtsanwaltsgehilfin aus. Sie wurde in Italien bereits zu zehn Jahren Haft verurteilt und muss nun mit einer weiteren Strafe rechnen.

Die meisten der acht Angeklagten zeigten sich am zweiten Prozesstag bereit auszusagen. Staatsanwalt Julius Sterzel hatte zwischen vier und zwölfeinhalb Jahren Haft im Gegenzug für Geständnisse in Aussicht gestellt. Der Hauptangeklagte und ein weiterer Angeklagter lehnten dies ab.

Fünf Männer und drei Frauen sollen im Auftrag der italienischen Mafia den Schmuggel von fast 900 Kilogramm Kokain organisiert haben. Ein Angelparadies soll ihnen im Ruhrgebiet als legale Geschäftsfassade gedient haben. Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung und Drogenhandel oder Beihilfe dazu vorgeworfen.

Die drei Richter der Strafkammer stehen im Verhandlungssaal. (Archivfoto)

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„Ich bin niemand, der viele Fragen stellt“

Die geständige 45-Jährige hatte in einem Callcenter, einem Foodtruck und als Betreiberin eines Nagelstudios gearbeitet, bevor sie als Drogenschmugglerin in Italien gefasst wurde. Sie sei über eine Aushilfsstelle in einem Angelparadies in die Machenschaften geraten, sagte die Mutter eines Sohnes. Zunächst seien ihr 500 Euro für eine Fahrt als Beifahrerin nach Italien angeboten worden. „Je weniger du weißt, desto ungefährlicher ist es“, habe man ihr gesagt. Die Fahrer hätten mehr bekommen, seien „pro gefahrenes Kilo“ bezahlt worden.

Worum es sich bei der Fracht gehandelt habe, darüber sei spekuliert worden, aber sicher gewusst, dass es Kokain gewesen sei, habe sie nicht. „Ich bin niemand, der viele Fragen stellt“, sagte die 45-Jährige. Einmal sei ihr das Versteck in dem Auto gezeigt worden: unter den Vordertüren mit einer speziellen Sicherung versehen. Zu dem Zeitpunkt sei es leer gewesen. Als Wagen seien zwei Audis Q7 und A6 sowie ein VW Touareg genutzt worden.

Drohung mit „italienischen Schuhen“

Wer die Fahrten angetreten sei, habe der Hauptangeklagte bestimmt. Die letzte Fahrt vor ihrer Festnahme habe sie zunächst gar nicht antreten wollen, aber da sei ihr gedroht worden: „Wir wissen jederzeit, wo wir deine Familie oder deinen Sohn finden.“

Als aus einem Auto etwas verschwunden war, hieß es: „Wenn wir den Verantwortlichen gefunden hätten, hätte der "italienische Schuhe" angezogen bekommen.“ Sie habe das so verstanden, dass der Dieb mit Beton an den Füßen versenkt worden wäre.

Beladen in der Tiefgarage

Später sei sie auch selbst gefahren. Einmal habe sich jemand in Belgien neben sie gesetzt und in eine Tiefgarage geleitet. Dort sei der Wagen mit 28 oder 29 Päckchen beladen worden. Diese habe sie zählen und dem Hauptangeklagten die Summe melden müssen.

Es sei ihnen verboten worden, zu den Fahrten etwas schriftlich festzuhalten. Einmal habe jemand die Päckchen auf einem Roller in einer Tüte gebracht, die zwischen seinen Beinen gestanden habe. Ihre Mitfahrerin habe sich über diese Leichtsinnigkeit geärgert.

Als Legende hätten sie im Fall einer Befragung etwa an der Grenze sagen sollen, dass sie auf dem Weg zu Fischlieferanten für das Angelparadies seien. So sei auch nicht von Kilos, sondern Fischen gesprochen worden.

In das Navigationsgerät sei nie sofort das Endziel eingegeben worden, sondern immer nur eine Etappe wie Innsbruck. Am Endziel sei jemand zugestiegen und habe sie zum Entladen wieder in eine Tiefgarage gelotst. Als sie einmal mit Motorproblemen liegengeblieben seien und die Fahrt abgebrochen hätten, habe sie kein Geld erhalten.

Überwachungsgerät entdeckt

Einmal seien sie offenbar verfolgt worden und hätten den Wagen deswegen auf Überwachungstechnik überprüfen lassen. Tatsächlich sei unter dem Wagen im hinteren Bereich ein Überwachungsgerät angebracht gewesen.

Sie habe zudem in ihrem Keller eine Cannabisplantage eingerichtet und auch zweimal geerntet. Als aber die Polizei in anderer Sache vor ihrer Tür gestanden habe, sei ihr „der Arsch auf Grundeis gegangen“. Sie habe die Plantage eigenmächtig und ohne Rücksprache wieder abgebaut.

Mehr als 50 Kurierfahrten im Auftrag der Mafia

Die acht deutschen Angeklagten sind 36 bis 64 Jahre alt. Sie kommen aus Hattingen, Dortmund, Wuppertal, Remscheid und Castrop-Rauxel. Als Hauptbeschuldigter gilt ein 64-Jähriger aus Hattingen. Er soll mit dem Drogenhandel 2,2 Millionen Euro eingenommen haben. Der Prozess des Wuppertaler Landgerichts findet im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts statt.

Die Angeklagten sollen mit wechselnder Beteiligung Verstecke in Autos eingebaut und jeweils mit Kokain im zweistelligen Kilogramm-Bereich mehr als 50 Kurierfahrten unternommen haben - alles im Auftrag der italienischen Mafia-Gruppierung 'Ndrangheta. Die 'Ndrangheta hat nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes eine dominante Stellung auf dem europäischen Kokain-Markt.

Die Anklage fußt auf mehrjährigen Ermittlungen und einer Großrazzia gegen den Kokainhandel im Mai 2023. 500 Polizisten hatten in NRW 51 Objekte durchsucht. Europaweit waren unter dem Operationsnamen „Heureka“ mehr als 1.000 Polizisten im Einsatz. Das Kokain soll aus Südamerika über Überseehäfen in den Niederlanden nach Europa gebracht und dort mit präparierten Autos nach Italien geschmuggelt worden sein.

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(dpa)