Inforeihe Psyche 150 000 Menschen in Deutschland sind glücksspielsüchtig
Die Therapeuten Frank Eggebrecht und Ulf Weidig erklären alles zum Thema und warum Betroffene sich dadurch lebendig fühlen.
Krefeld. Carsten Kramer ist kein Einzelschicksal. Gut 150 000 Menschen in ganz Deutschland sind glücksspielsüchtig. Sie verzocken Geld, manchmal sogar ihr Leben am Pokertisch im Casino, bei Sportwetten im Netz, an Spieleautomaten. Darüber hinaus finden Betroffene wie Carsten Kramer im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen des Alexianer Bürgerhaushütte in Duisburg Hilfe. Ein Gespräch mit den Suchttherapeuten Frank Eggebrecht, Leiter der Ambulanz, und Ulf Weidig.
Wie charakterisieren Suchtexperten Glücksspielsucht?
Frank Eggebrecht: Gespielt wurde schon immer. Glücksspielsucht ist eine der bekanntesten Verhaltenssüchte. Spieler denken viel ans Spielen, steigern ihre Einsätze trotz Verlusten, Versuche, mit dem Spielen aufzuhören enden erfolglos. Spieler vernachlässigen und belügen oftmals Menschen in ihrem Umfeld, setzen nicht selten auch ihren Job aufs Spiel.
Woher kommt bei Betroffenen der Drang, Spielen zu müssen?
Eggebrecht: Die Phänomene, die im Hirn eines Spielers ablaufen, sind ähnlich wie etwa bei einem Alkoholabhängigen. Die Auswirkungen sind unheimlich wuchtig. Patienten suchen beim Glücksspiel den Kick, dabei wird der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet, das sind wahre Dopaminduschen, die Glücksgefühle auslösen.
Glücksgefühle, die auch durch Sport oder einen schönen Abend mit Freunden ausgelöst werden können — Betroffene können aber trotzdem nicht aufs Spielen verzichten. Warum nicht?
Eggebrecht: Seit 2001 ist die Therapie für Glücksspielsüchtige nach einer Vereinbarung von Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern ähnlich wie bei den stoffgebundenen Suchterkrankungen angelegt. Das ist wichtig, denn alle Süchte sind psychische Erkrankungen. Hinter der Spielssucht verbirgt sich ein Mensch mit psychischen Problemen — die Spielssucht tritt oft in Allianz mit Depression, Selbstwert- oder Angststörungen auf.
Ulf Weidig: Spielern geht es letztlich nicht darum, Geld zu gewinnen. Es geht darum, sich zu spüren, lebendig zu sein. Das geht mit einem Realitätsverlust einher: Fastgewinne werden wie Gewinne erlebt, Verluste unterbewertet.
Welche Folgen kann dieser Realitätsverlust noch haben?
Eggebrecht: Viele Spieler arbeiten in einem veritablen Job und kommen aus allen Berufsgruppen — Akademiker, Handwerker, Angestellte. Viele leben durch ihre Spielsucht in Parallelwelten. Es gibt Betroffene, die sich in Extremfällen neben ihrem Beruf prostituieren, um weiter Spielen und ihre Schulden abtragen zu können, oder kriminell werden.
Kann man Spielsucht heilen?
Eggebrecht: Ein Drittel der Menschen, die zu uns kommen, sind seit mehreren Jahren spielfrei — das ist ein sehr großer Erfolg. Ein weiteres Drittel spielen über einen sehr langen Zeitraum, halten aber trotzdem den Kontakt zu unseren Selbsthilfegruppen. Und bei einem Drittel sorgen wir durch Krisenintervention dafür, dass sie emotional und sozial überleben können.
Weidig: Diese Patienten haben mit Gerichten und Staatsanwälten zu tun, oft Suizidversuche hinter sich. Unsere Arbeit geht über die geschützen Räume des Behandlungszimmers hinaus.
Wie helfen Sie den Menschen, die zu Ihnen in die Ambulanz kommen?
Weidig: Wir helfen Patienten vor allem dabei, ihre Gefühle zu verstehen und zu erklären. Dafür müssen wir mühsame Übersetzungsarbeit leisten, weil die Gefühlsregulation häufig vom Spielen selbst übernommen wird. Für Betroffene ist es eine wichtige Erfahrung, Ernst genommen zu werden, Respekt zu erfahren und verstanden zu werden. Sie sind Spieler, aber sie sind noch viel mehr als das. Teil unserer Arbeit ist es auch, Patienten klar zu machen, dass es noch andere Dinge im Leben gibt, als das Spielen: Wandern, Sport überhaupt, gesellschaftliches Engagement . . . Wir nennen das Verführung zum Leben.