Frau Rademacher-Bensing, im Mai ist die Zahl der Arbeitslosen auch in Krefeld erneut gestiegen. Wie ist die aktuelle Lage in der Stadt?
Interview So wirkt sich die Corona-Krise auf den Krefelder Arbeitsmarkt aus
Krefeld · Die Zahl der Arbeitslosen steigt weiter, die Kurzarbeit ist nach wie vor hoch - was bedeutet das für Krefeld? Bettina Rademacher-Bensing, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in der Region, erklärt es im Interview.
Rademacher-Bensing: Die Arbeitslosenquote im Bezirk liegt im Mai bei 8,4 Prozent. Das ist eine deutliche Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Da lag die Quote bei 7,4 Prozent. Im April lag sie bei acht Prozent. Wir haben wie immer eine sehr deutliche Unterteilung im Bezirk: In der Stadt Krefeld liegt die Quote aktuell bei 11,4 Prozent nach 10,2 Prozent im Vorjahresmonat und 10,9 Prozent im April, also deutlich zweistellig. In Kempen verzeichnen wir dagegen auch unter Corona im Mai nur eine Quote von 4,9 Prozent, also deutlich unter der durchschnittlichen Arbeitslosenquote in Deutschland.
Die Kurzarbeit ist nach wie vor hoch. Wann erwarten Sie einen Rückgang?
Rademacher-Bensing: Kurzarbeit ist ein Instrument, um den Absturz in die Arbeitslosigkeit zu verhindern. Insgesamt haben wir seit März knapp 5000 Anzeigen. Dahinter verbergen sich rund 69 000 Personen. Und das ist schon eine Menge. Wobei Kurzarbeit nicht gleich Kurzarbeit ist. Dahinter verbergen sich Personen, die zu 100 Prozent Kurzarbeit haben und welche, die 20 Prozent Kurzarbeit haben. Wenn ich alles zusammenzähle: Wir haben 69 000 Personen, die Kurzarbeit haben, und 24 000, die arbeitslos sind. Das zeigt, dass wir schon eine hohe Betroffenheit im Bezirk haben.
Wird ein Rückgang der Kurzarbeit zu einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen führen?
Rademacher-Bensing: Das ist ein Stück weit Glaskugellesen. Aber was wir schon genau beschreiben können: Der Anstieg der Kurzarbeit war dramatisch in den Monaten März und April. Wenn ich aber sehe, wie viele Anzeigen im Mai dazugekommen sind, nämlich 300 im Vergleich zu tausenden zuvor, dann flacht sich die Kurve deutlich ab. Und: Durch die sukzessive Öffnung ist die Kurzarbeit zum Teil auch schon zurückgegangen. Vollständige Zahlen für den Monat März gibt es zudem erst im Juli, da die Firmen drei Monate Zeit zur Abrechnung haben. Derzeit sprechen wir ja nur von Anzeigen zur Kurzarbeit.
Ein Abflachen der Kurve ist auch etwas, das wir bei den Arbeitslosenzahlen gesehen haben. Da gab es von März auf April einen ganz starken Anstieg, weil auch die Frühjahrsbelebung wegen Corona ausgefallen ist. Der Anstieg von April auf Mai hat sich dagegen ganz stark abgeflacht. Das ist im Moment auch für die kommenden Monate zu erwarten. Dennoch haben wir es in den kommenden Monaten mit deutlich mehr Arbeitslosen zu tun.
Mit welchen Maßnahmen kann die Arbeitsagentur die Folgen der Corona-Krise in Krefeld abmildern?
Rademacher-Bensing: Wir sind ganz aktiv mit denen im Gespräch, die in die Arbeitslosigkeit hineingegangen sind. Wenn jemand in die Arbeitslosigkeit geht, ist das erst einmal ein unerwünschter Zustand, mit dem er umgehen muss. Viele sind geradezu geschockt. Aus dieser Schockstarre löst man sich am besten, wenn man mit jemandem über Perspektiven nachdenken kann. Wir gehen da stark in Richtung berufliche Weiterbildung. Manche wollten vielleicht sowieso immer mal etwas ganz anderes machen und wollen die Chance für einen Neuanfang nutzen.
Wie viele offene Stellen gibt es im Augenblick, die Sie vermitteln können?
Rademacher-Bensing: Im Mai hatten wir 628 neue Stellenzugänge, das waren schon wieder mehr als im April. Wir sehen da eine Mini-Belebung, aus der Schockstarre heraus. Es sieht nicht mehr ganz so dramatisch wie im April aus. Es gibt also Möglichkeiten, vor allem in den Branchen Gesundheit/Pflege, Apotheken, im Lebensmittelhandel, aber auch in der Logistik. Wenn Lieferketten wieder anlaufen, dann wird dort jede Menge Personal gebraucht.
Wie stark schätzen Sie die Unternehmen in Krefeld ein, um die Folgen der Krise ohne große Entlassungen zu überstehen?
Rademacher-Bensing: Wir haben da eine immense Bandbreite von kleinen, kreativen Firmen bis hin zu großen produzierenden Unternehmen. Die stehen ganz unterschiedlich da. Ich gehe aber davon aus, dass die Krefelder Unternehmen, die in der Krise sehr kreativ waren, mit einer gewissen Weitsicht planen und nicht nur sagen: Kosten runter – und dann hinterher nicht wissen, wie sie die Arbeit bewältigen sollen. Es hängt viel davon ab, ob sie es schaffen, mit den sonstigen Liquiditätshilfen sich so lange zu retten, bis Aufträge und Umsätze zurückkehren. Das Zeitfenster geht nach meiner Einschätzung bis Ende des Jahres. Bis dahin müsste sich manches wieder zum Besseren gewendet haben.
Vieles hängt auch davon ab, wie gesund ein Unternehmen vor Corona war.
Rademacher-Bensing: Eins darf man nicht vergessen: Gerade im produzierenden Bereich gab es schon vor Corona Schwierigkeiten. Schon im 2. Halbjahr 2019 gab es sehr deutliche Anzeichen dafür, dass das produzierende Gewerbe nicht gerade auf Rosen gebettet ist. Da gab es schon Auftragseinbrüche, auch erste Meldungen an Kurzarbeit. Wir haben in unserem Bezirk 14 000 Unternehmen von mini bis riesig. Es wird in bestimmten Bereichen eine Marktbereinigung geben.
Die Corona-Krise wird auch Folgen für das Ausbildungsjahr haben. Wie können Sie hier vor Ort helfen, dass Unternehmen eine ausreichende Zahl an Lehrstellen zur Verfügung stellen? Und dass es eine ausreichend große Zahl an Bewerbern gibt?
Rademacher-Bensing: Die Berater waren sehr aktiv in den Schulen, solange es noch Unterricht gab. Danach haben wir umgestellt auf telefonische Beratung. Die ersetzt aber gerade bei Jugendlichen nicht das persönliche Gespräch. Daher werden wir, wenn wir Mitte des Monats wieder Einladungen in die Agentur aussprechen können, vor allem Jugendliche ansprechen.
Haben Sie Sorge, dass eine Vielzahl an Unternehmen angesichts der Krise in diesem Jahr auf Ausbildung verzichten wird?
Rademacher-Bensing: Derzeit haben wir fast ein Verhältnis von 1:1, was Stellen und Bewerber angeht. Auf 3013 Bewerber kommen 2988 offene Stellen. Ich kann nur an jedes Unternehmen appellieren, nicht nachzulassen in der Bemühung, Menschen auszubilden. Denn dieser Jahrgang Corona schlägt massiv auf uns zurück. Wenn in diesem Jahr zu wenige Menschen eine Ausbildung beginnen, dann sind es erstens zu wenig Chancen für Jugendliche und zweitens fehlt das dann hinterher, wenn es um die Fachkräfte geht. Wir hatten vorher einen immensen Fachkräftebedarf. Dieser ist derzeit durch Corona überdeckt. Aber der Fachkräftemangel ist wie eine chronische Krankheit. Die geht nicht weg, weil ich zwischendurch Grippe habe. Den Bewerbern kann ich nur raten, mutig an die Sache heranzugehen und Chancen zu erkennen. Dabei wollen wir helfen. Wir können aber nicht die Ausbildungsstellen schaffen. Es wird dieses Jahr sehr anspruchsvoll für alle Seiten sein. Es ist uns wichtig, dass dieser Jahrgang am Ende zu großen Teilen weiß, was er tun soll ab September.
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Arbeit der Agentur in Krefeld aus? Wie werden Arbeitssuchende betreut?
Rademacher-Bensing: Die herausragende Fragestellung war am Anfang nicht: Können, sollen oder dürfen wir? Sondern: Wir müssen einen Weg finden, die Arbeitssuchenden weiter zu betreuen. Das hat sehr viel Kreativität bei uns freigesetzt. Und plötzlich gingen Dinge ganz schnell. Wir haben beispielsweise jetzt eine App, mit der man Kurzarbeitergeld abrechnen kann. Wir haben sehr schnell eine lokale Hotline eingesetzt, die bis jetzt 20 000 Anfragen bearbeitet hat. Viele Mitarbeiter, die etwa sonst Arbeitssuchende betreuen, werden jetzt in der Leistungsabrechnung eingesetzt. Wir wissen, dass die Zeit der hohen Belastung weitergehen wird. Unseren Mitarbeiter ist aber jetzt noch einmal richtig bewusst geworden, dass sie einen Beitrag leisten können, damit Corona nicht so verheerende Folgen hat wie man das in anderen Ländern zum Teil jetzt schon sehen kann.