Grabungen Kleiner Fund mit großer Geschichte
„Die Geschichte steckt im Boden“, sagen Archäologen oft. Wenn man mal als Besucher bei einer Grabung dabei ist und nichts erkennt außer Lehm, Sand und Stein, dann lesen die Archäologen in den Bodenverfärbungen nicht selten schon eine erste Geschichte.
Zwischen alldem finden sie Scherben, Münzen und Teile von Alltagsgegenständen. Aus dem sogenannten Fundzusammenhang schließen sie, aus welcher Zeit und von wem ein Objekt stammt. Und so steckt manchmal hinter einem sehr kleinen Fund eine außergewöhnliche Geschichte. Einige solcher Geschichten werden zurzeit in der Ausstellung „Heimat in der Fremde – Gelduba im Weltreich der Römer“ im Archäologischen Museum Krefeld erzählt, darunter die von einer Frau und einem magischen Spiegel.
Grabbeigabe wird
im Jahr 1983 entdeckt
Auf den ersten Blick wirkt dieser Mini-Spiegel unspektakulär. Es handelt sich um eine Grabbeigabe, die im Oktober 1983 im Gräberfeld Krefeld-Gellep (Gelduba) entdeckt wurde. Damit beginnt diese abenteuerliche Geschichte. Das Grab mit der Nummer 4607 ist bis heute das einzige seiner Art, nicht nur in dem mit 6500 Gräbern größten erforschten römisch-fränkischen Gräberfeld nördlich der Alpen, sondern in West-Europa. Es lag etwas isoliert von übrigen Gräbern aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts und unterscheidet sich durch seine Anlage deutlich von ihnen: Die kürzere Grabhälfte war nur 1,30 Meter, die direkt angrenzende zwei Meter tief. In dieser wurden Spuren eines Holzsarges gefunden und einige Eisennägel. Vom Skelett des Toten sind nur geringe Reste des Schädels erhalten, bei dem das Fragment einer Haarnadel aus Silber lag – ein Indiz auf das Grab einer Frau. Zu den Beigaben gehörte auch jener zerbrochene Spiegel, der einen Hinweis auf die ferne Herkunft der Frau gibt.
Vom Atlantik bis an das Schwarze Meer, von Nord-England bis Nordafrika reichte einst das Römische Reich. Gelduba – im heutigen Krefeld-Gellep – hieß einer von zahlreichen Kastellorten am Niedergermanischen Limes. Dort bildete der Rhein die „nasse“ Grenze zu den germanischen Stämmen im Barbaricum. Trotz der Lage am Rande des Imperiums spiegelt sich dort die Vielfalt an Menschen, Religionen und Handel innerhalb des antiken Weltreiches wider. „Für diesen Flecken Gelduba können wir über fünf Jahrhunderte hinweg die Mobilität und Migration der Bevölkerung aus den römischen Provinzen und drüber hinaus nachweisen“, sagt Stadtarchäologe Hans Peter Schletter. Obwohl der Kastellstandort samt Zivilsiedlung kein Zentrum wie Köln oder Xanten war, bilden die reichhaltigen Funde aus dem Gräberfeld und aus dem Kastellareal die Vielfalt des römischen Schmelztiegels ab. Und der Spiegel ist ein Indiz auf ein weit im Osten lebendes Volk – die Sarmaten, ein aus mehreren Stämmen bestehendes Reitervolk. Sie stammen aus dem heutigen Iran. Von dort verbreiteten sie sich immer weiter westlich.
Das Hauptbeweisstück zur Identifizierung der Herkunft der Frau aus Gellep bildet ein sarmatischer Spiegel von nur 4,8 Zentimetern Durchmesser. Derartige Spiegel sind als Beigaben in römischen Gräbern des Rheinlandes und Galliens unbekannt.
Artefakt ist das einzige aus dem Westteil des Römischen Reiches
Ein vergleichbares Stück wurde 1895 in einem Frauengrab des frühen fünften Jahrhunderts in Reims entdeckt, es ging jedoch während des Ersten Weltkriegs verloren. Damit ist der Spiegel aus Krefeld der einzige aus dem westlichen Teil des Römischen Reiches überhaupt: Die vordere, der Spiegelung dienende, Seite ist glatt, die Rückseite dagegen mit einem mitgegossenen Relief in Kreuzform verziert, wohl ein Sonnensymbol. Der Spiegel wurde absichtlich zerbrochen im Grab deponiert. Ihren Ursprung haben diese Spiegel wohl in China. Von dort gelangten sie auch zu den Sarmaten. Schon in China war der Spiegel niemals nur ein reiner Gebrauchsgegenstand, sondern zugleich Träger magischer Kraft, die sich auf seinen Besitzer übertrug und diesen vor Unheil bewahren konnte. Das Bild des Lebenden hatte der Spiegel einst auf seine Scheibe gebannt. Es konnte so nicht bestehen, sondern musste dem neuen Zustand seines Besitzers angeglichen, also bei dessen Tod zerstört werden.
Als die Tote in Gellep in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts bestattet wurde, musste diese Vorstellung lebendig gewesen sein und zwar bei Stammesgenossen, die in Gelduba lebten. „Hier wurde wahrscheinlich eine Sarmatin von Sarmaten begraben“, betont Schletter. Denn es kann ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem Spiegel um ein zufällig an den Niederrhein gelangtes Stück handelt, das seiner Besitzerin als Kuriosität mit ins Grab gelegt wurde. Aber wie kamen die Sarmaten an den Niederrhein? Archäologisch sind sie bisher kaum zu fassen. Spätantike Geschichtsquellen berichten über die Ansiedlung von Sarmaten im Römischen Reich, unter anderem in Gallien und Italien. Auch an der Donau sind Siedlungsplätze bekannt. Zudem gab es Kriegsgefangene oder freiwillig übergetretene Sarmaten in das römische Militär. Einzeln oder in kleinen Gruppen versahen sie wohl ihren Dienst an der Grenze des Imperiums. Als schwer bewaffnete und gepanzerte Reitereinheiten passen sie zudem in die Tradition der berittenen Hilfstruppen in Gelduba.
Der Eintritt in das Archäologische Museum Krefeld, an der Rheinbabenstraße 85 gelegen, ist für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre kostenfrei. Die Ausstellung endet am Sonntag, 22. Januar. Ein Film zur Ausstellung ist zudem auf der Internetseite der Stadt zu sehen. Red