Abschied 30 Jahre für „Essen auf Rädern“ unterwegs

Krefeld · Ingrid Femerling hat unzählige Mahlzeiten an alte und bedürftige Menschen in Krefeld ausgeliefert. Am Dienstag machte sie ihre letzte Tour.

Ingrid Femerling (r.) ist nach 30 Jahren als Fahrerin für „Essen auf Rädern“ verabschiedet worden. Andrea Blomen, Vorsitzende des Vereins für Haus- und Krankenpflege, zeigt es: Am Dienstag war „Inges letzte Fahrt“.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Was Ingrid Femerling 30 Jahre für Menschen in Krefeld, die sich alters- oder krankheitsbedingt oder aus finanziellen Gründen nicht mehr selber versorgen können, geleistet hat, ist nur schwer oder überhaupt nicht messbar. Sie hat unzählige Essen ausgeliefert und ist ebenso unzählige Kilometer durch das Krefelder Stadtgebiet gedüst. Als Auslieferin für „Essen auf Rädern“ ist sie für den Krefelder Verein für Haus- und Krankenpflege aber nicht nur eine treue Mitarbeiterin - an ihr lässt sich auch das Erfolgsgeheimnis des Angebots erklären.

 „Inges letzte Fahrt“ hieß es am Dienstag. Luftballons und bunte Girlanden schmücken den weißen VW-Kastenwagen, mit dem die 63-Jährige ihre letzten Tour machte, es gab unter anderem Linsensuppe.

Rund 50 Mahlzeiten können es pro Tag sein. Auf Porzellan serviert werden die Gerichte auf dem Weg endgegart. Dazu ist hinten in den mit Erdgas betriebenen Fahrzeugen ein Ofen installiert, zudem gibt es einen Kühlschrank für Nachspeisen. Das Angebot wird vor allem von Senioren genutzt, die alleine zu Hause leben. Um diese Menschen ging es in den letzten 30 Jahren Inge Femerling. Mit ihnen habe sie immer „ein Schwätzchen gehalten“. Fast alle habe sie über die Jahre ins Herz geschlossen. Kein Wunder, dass die 63-Jährige während ihrer letzten Tour für „Essen auf Rädern“ Sätze wie „Warum hörst du auf?“ hört. Das gehe „’runter wie Öl“, sagt sie

1990 habe sie zunächst als Aushilfe angefangen, kurz bevor das Angebot an einen Standort im Campus Fichtenhain zog, nach ein paar Wochen sei Femerling dann fest eingestellt worden. Der Verein Haus- und Krankenpflege, der neben Essen auf Rädern unter anderem einen Pflegedienst, einen Hausnotruf und eine Tagespflege bietet, ist heute an der Uerdinger Straße im Schütenhof im Zentrum Bockums beheimatet. Bis 2011 wurden rund fünf Millionen Mahlzeiten ausgeliefert, heißt es in einer Chronik zum 50-jährigen Jubiläum des Angebots.

Sie hat mit den Menschen
gelacht und geweint

Femerling habe in den 30 Jahren vor allem „schöne Außentouren“ gehabt - sie sei viel in Stadtteilen wie Linn, Uerdingen oder Bockum unterwegs gewesen, zuletzt sei sie für Gatherhof oder auch St. Tönis zuständig gewesen. Dabei habe sie neben vielen Schleichwegen vor allem viele Menschen kennengelernt und über die Jahre begleitet. Die „Essensteilnehmer“, wie Andrea Blomen, Vorsitzende des Vereins für Haus- und Krankenpflege, die Menschen nennt, die das Angebot nutzen, seien mit der Zeit im Durchschnitt älter geworden. Zudem gebe es darunter mehr Frauen als Männer. Der Grund: Sie würden oft ihre Männer „überleben“ und dann alleine in den eigenen vier Wänden leben. Ein Essen kostet um die fünf Euro, um die drei Euro zahle der Verein oben drauf, um das Angebot günstig zu halten, erklärt Blomen. Daher sei der Verein auf Spenden angewiesen. Zudem würden tausende Mahlzeiten jährlich preisreduziert oder im Rahmen von Patenschaften kostenlos an Bedürftige geliefert, darunter seien dann auch Familien, in denen die Kinder nichts zu essen haben. Zudem müssten viele Senioren mit einer sehr knappen Rente zurechtkommen. Oft würden sie sich scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, „weil ihnen das peinlich ist“, erklärt Blomen. „Wir möchten diesen Menschen ihre Würde zurückgeben“, so die Vorsitzende des Vereins. Viele Ältere würden sich aus Dosen ernähren, die Mahlzeiten von „Essen auf Rädern“ seien dagegen frisch gekocht und nahrhaft.

Doch es geht bei der Auslieferung der Mahlzeiten nicht nur um die Versorgung mit Essen. Für viele „Essensteilnehmer“ seien Menschen wie Ingrid Femerling ein wichtiger sozialer Kontakt - in guten und in schlechten Zeiten: „Ich habe mit vielen schon geweint“, sagt Femerling. Oft genug gab es aber wohl auch Gründe zur Freude. „Sie sind immer am Lachen“, sei ein weiterer Satz gewesen, den die 63-Jährige regelmäßig während ihrer Arbeit gehört habe. „Grienen“ (Plattdeutsch für wimmern oder weinen) könne sie auch zu Hause, habe sie dann gesagt. Es braucht nicht viel, um sich vorzustellen, dass diese herzliche und direkte Art bei vielen Menschen einen Nerv getroffen hat. Aufgrund der Corona-Krise sei der Abstand zu den Menschen in den letzten Wochen natürlich größer gewesen - auf Umarmungen musste verzichtet werden. Wenn diese Zeit vorbei ist, will Femerling aber wieder auf Tour gehen - dann aber mit ihrem Fahrrad.