Franziskus-Schwestern Zu Gast im Kloster: Die Geschichte einer stillen Nacht

Für eine Nacht darf unser Autor ins Kloster der Franziskus-Schwestern. Er ist skeptisch: Ob er da richtig aufgehoben ist? Über einen emotionalen Abend und eine besondere Begegnung.

 Generaloberin Schwester Alfonsa begleitet WZ-Autor Janis Beenen durchs Mutterhaus der Franziskus-Schwestern.

Generaloberin Schwester Alfonsa begleitet WZ-Autor Janis Beenen durchs Mutterhaus der Franziskus-Schwestern.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Falls Sie hier die Weihnachtsgeschichte vermuten, muss ich Sie enttäuschen – zumindest ein bisschen. Ich möchte Ihnen meine Adventsgeschichte erzählen. Es ist ein Erlebnis von Ruhe und Nähe in hektischen Wochen.

Beginnen wir auf dem Ostwall, kurz vor 18 Uhr, an einem Donnerstag im Dezember. Die Menschen eilen. Von der Arbeit zur Bahn, in Richtung der Geschäfte oder einfach raus aus dem nasskalten Wetter. Das ist sie, die sogenannte besinnliche Adventszeit, die hier vor allem Adventszeit und nicht besinnlich ist. Ich eile mit, noch eben zur Sparkasse und dann zum Termin.

Der Termin ist eine Einladung raus aus der Zeit mit Weihnachtsfeiern, der Suche nach Geschenken und dem Jahresend-Stress auf der Arbeit. Noch mal richtig reinknien, heißt es da gerne. Für eine Nacht bekomme ich den Kontrast. Ich darf ins Mutterhaus der Franziskus-Schwestern am Jungfernweg. Ich nehme an einem Abend mit Gottesdienst, Musik und Gebeten teil. Dazu laden die Schwestern an jedem ersten Donnerstag im Monat in ihr Kloster ein.

Ob das wohl der Ort der Ruhe ist? Und bin ich als junger Mann richtig aufgehoben in so einem Kloster? Klar, ich bin Christ und glaube an die Idee dieser Religion. Aber Kirchgänger bin ich nicht. An einem Donnerstagabend gehöre ich doch ins Fitnessstudio, mit Freunden in eine Bar oder zum Fußballgucken vor den Fernseher. Sei’s drum. Nun habe ich zugesagt.

Das Zimmer erinnert an
eine wohnliche Jugendherberge

Als ich am Kloster ankomme, wartet Generaloberin Schwester Alfonsa schon. Die 81-Jährige ist eine Frau mit ruhiger Stimme und herzlichem Lächeln. Sie wünscht „alles Gute“, selbst wenn man sich eine halbe Stunde später wiedersieht. Schwester Alfonsa führt mich zu den Gästezimmern, dort darf ich später übernachten. Sie gibt mir den Schlüssel für meinen Raum und sagt: „Schauen Sie, was Ihnen gut tut.“ Was für eine schöne Aufforderung.

 Das Gästezimmer im Kloster erinnert an eine wohnliche Jugendherberge.

Das Gästezimmer im Kloster erinnert an eine wohnliche Jugendherberge.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Mein Zimmer ist klein. Ein Bett, ein Tischchen, das Kreuz an der Wand, ein paar Bilder. So kalt, wie ich es erwartet habe, ist es aber nicht. Das Kloster ist eher die wohnliche Variante einer Jugendherberge.  Eine halbe Stunde hätte ich bis zum Gottesdienst, sagt Schwester Alfonsa und verschwindet. Es ist ganz ruhig im Zimmer, Ruhe finde ich aber nicht.

Ich bin nervös. Die anderen Frauen und Männer, mit denen die Schwestern den Abend verbringen, kommen extra aus Meerbusch oder Duisburg – diese Nacht scheint denen verdammt wichtig zu sein. Beten, mal zusammen, mal still, singen – stundenlang soll ich da mitmachen. Wirklich? Ist so viel Ruhe, so viel bei sich sein, auszuhalten? Keine Ahnung, wann ich zuletzt Stunden so meditativ verbracht habe.

Für Schwester Alfonsa ist es wichtig, das Kloster für alle Menschen zu öffnen. Sei es zum Gebet oder für Seniorengruppen zum Kaffee trinken. So bleibt Leben im Mutterhaus. Neben Schwester Alfonsa sind es nur noch vier weitere Nonnen, die hier wohnen. Früher waren sie wesentlich mehr. „Das ist ein Prozess, dem wir uns stellen müssen“, sagt sie. Ihr Kloster soll ein Ort des Miteinanders bleiben.

An diesem Abend sind es etwa 15 Gäste, die das stille Miteinander mit den Nonnen suchen. Auf den Holzbänken der Kapelle sitzen sie versprengt. Ich schiebe mich in eine der hinteren Reihen und starre nach vorne zum Altar. Kaplan Dennis Rokitta schreitet durch die Reihen an seinen Platz. Der Gottesdienst beginnt.

Ich hadere. Das soll mir gut tun? Warum muss man sich hier ständig als Sünder bekennen? Warum dieses ständige Knien? Gibt es einen Gott, der so eine Unterwürfigkeit will?

Der Gottesdienst zieht vorüber, dann geht es erst richtig los: Anbetung. Alle knien und beten in Richtung der Monstranz. Teils ganz leise, minutenlang. Mein Blick schweift durch den Raum, die anderen haben die Augen geschlossen oder blicken stoisch nach vorne. Irgendwann hallt Musik aus der hinteren Ecke der Kapelle, aber keine klassische Kirchenmusik mit der Orgel. Da steht eine Band mit Gitarre, Keyboard und Gesang. Sie spielen nicht das, was sonst so aus dem Gottesdienst-Liedbuch kommt. Da ist mal was Modernes oder was Englisches wie „You Raise Me Up“, also „Du hebst mich hoch“, bei.

Ich kann zum ersten Mal an diesem Abend genießen. Wir singen gemeinsam und doch ist jeder für sich. Es fühlt sich ein bisschen nach Stadion an, wenn alle die Mannschaft unterstützen und das Drumherum egal ist. Hier im Kloster ist es natürlich ruhiger, persönlicher, aber die Wirkung ähnlich. Keine Gedanken, nur der Fluss der Musik, nur der Moment.

Nach gut zwei Stunden treffen sich alle in einem kleinen Raum neben der Kapelle. Die Leute reden, bevor sie wieder beten. Und sie reden erstaunlich offen. Kaum habe ich mich gesetzt, erzählen mir zwei Frauen von ihrem Glauben an Gott und den Momenten im Leben, in denen er ihnen geholfen habe.

 Überall im Mutterhaus gibt es Orte, an denen die Gäste Ruhe zum Gebet finden.

Überall im Mutterhaus gibt es Orte, an denen die Gäste Ruhe zum Gebet finden.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Dann beginnt der Mann, der rechts neben mir sitzt, zu erzählen. Ein Herr mit grauem Haar und schwarzer Jacke. In diesem Text soll er Frank Kurz heißen, um seine Privatsphäre zu schützen und gleichsam seine Geschichte zu erzählen. Im Knast habe er vor vielen Jahren zu Gott gefunden, sagt Kurz. Als Rocker kam er ins Gefängnis. Kurz kann Geschichten von Drogen, Waffen und Gewalt erzählen. Er lebte in einem Milieu, das ihn hinter Gitter brachte. Dort habe ihn der Gefängnispfarrer in der Zelle besucht. Der Geistliche habe die Hand auf seinen Kopf gelegt und gebetet. In diesem Moment habe er zu Gott gefunden, sagt Kurz.

Durch das Gebet mit einem Fremden so nah bei den Liebsten

Ich sitze mit halb offenem Mund da. Kurz scheint das nicht zu stören. Ob wir zurück in die Kapelle zum Beten wollen, fragt Kurz. „Ja, ja“, sage ich. Er klopft mir auf die Schulter, ich folge ihm. Nebeneinander knien wir auf dem Holzbänkchen. Ich schaue, wie der Mann, den ich eben erst kennenlernte, ins Gebet vertieft ist. Dann fragt er mich: „Hast du etwas in deinem Leben, wofür ich beten kann?“ „Meine Großeltern“, sage ich ohne Zögern. „Sie sind mittlerweile sehr alt und so richtig gut geht es den beiden nicht mehr.“ Kurz legt mir seine Hand auf den Rücken und murmelt mit geschlossenen Augen. Nach ein paar Minuten, die sich so viel länger anfühlen, steht er auf. Er wolle noch ein paar Stunden schlafen, ehe er ab zwei Uhr die ganze Nacht betet.

Was für ein seltsamer Moment und trotzdem nicht unangenehm. In diesen Minuten fühle ich mich meinen Großeltern, die ich doch viel zu selten sehe, ganz nah. Und da sind noch all die anderen Menschen, die mir wichtig sind. Wie schön es ist, Zeit zu haben, an sie zu denken. Ich vermisse in diesem Augenblick nichts von anderen Donnerstagabenden. Nicht das Fitnessstudio, nicht den Fernseher, nicht die Bar mit Freuden. Morgen ist all das wieder da, genau wie die Hektik der besinnlichen Zeit. Egal, denn jetzt ist es schön. Wie gut es doch ist, sich mal auf die Welt anderer einzulassen.