Analyse zu Krefelds textiler Kultur: Holzweg statt Seidenstraße

Krefelds textile Kultur ist nur noch ein Torso. Die Stadt muss sich entscheiden: Wie viel samtene Historie will sie sich leisten?

Krefeld. Jemand, dem Krefelds textile Geschichte und Gegenwart am Herzen liegt, hat es einmal kurz und prägnant auf den Punkt gebracht: „Aus der Stadt wie Samt und Seide ist längst die Stadt wie Plüsch und Plum geworden.“ Namentlich zitierfähig ist der Ausspruch nicht, wahr bleibt er trotzdem.

Der Spruch, mit dem die Stadt so gerne punkten möchte, läuft zunehmend ins Leere. Er ziert die Internetseite und steht auf Broschüren. Jeder städtische Mitarbeiter ist gehalten, seine Briefe in andere Städte — zumindest solche positiven Inhalts — mit „freundlichen Grüßen aus der Samt- und Seidenstadt“ zu unterzeichnen.

Doch das sind bloß Formeln. Die textile Wirklichkeit sieht eher trist aus. Wie berichtet, hat die Stadt das Haus der Seidenkultur geschlossen. Das kleine, von einem Verein betriebene Museum mit acht historischen, teils funktionsfähigen Webstühlen braucht akut 330 000 Euro für eine Brandschutz-Sanierung. Der Oberbürgermeister hat seine Hilfe zugesagt, es spricht einiges dafür, dass die Summe zusammenkommt.

Den Besuchern wird die hohe Investition jedoch neben mehr Sicherheit keine Vorteile bringen: Das Geld fließt ausschließlich in den Brandschutz, inhaltliche Verbesserungen bringt es nicht.

Die Probleme des Hauses, die der Vorsitzende Hansgeorg Hauser bereits vor Monaten klar benannt hat, blieben also bestehen: der Platzmangel und die altbackene Präsentation. Er wolle kein „totes Museum“, hat Hauser damals betont: „Ich halte nichts von leblosen Exponaten und Ketten mit ’Bitte nicht berühren’.“

Das andere Flaggschiff Krefelder Textilkultur hat noch schwerer Schlagseite. Das Haus am Linner Andreasmarkt, das immerhin den Titel „Deutsches Textilmuseum“ trägt, hat seit einem Jahr keine Leiterin mehr. Dass zwei bereits ausgewählte Bewerberinnen der Stadt einen Korb gaben, sollte niemanden wundern:

Der Ausstellungsetat des Museums wurde zuletzt auf jämmerliche 16 000 Euro gekürzt — pro Jahr. Auch am Personal wird gespart. Die Einsparung hatte unter anderem zur Folge, dass Künstler, die dort im Frühjahr ausgestellt wurden, den Transport ihrer Werke selbst finanzieren mussten.

Doch die Probleme des Hauses gehen wesentlich tiefer. Seit 1981 steht es mehr oder weniger unverändert in der Linner Altstadt, die Anforderungen an Museen haben sich seither dramatisch verändert. „Hier muss etwas passieren!“, flehte die ehemalige Leiterin Brigitte Tietzel deshalb im April 2009 in einem WZ-Interview. Ihr Ruf blieb ungehört.

Dabei schlummert im Depot des Museums ein einzigartiges Potenzial. Die Sammlung umfasst 30 000 Textilien von der Antike bis zur Gegenwart. Zu sehen sind die Stücke so gut wie nie. Die kleine Ausstellungsfläche bietet nur Platz für wechselnde Schauen, die Sammlung bleibt unter Verschluss — ein verborgener Schatz.

Um ihn womöglich irgendwann zu heben, muss die Politik genau zwei Entscheidungen treffen. Die erste ist leicht: Soll Krefeld wirklich eine Samt- und Seidenstadt sein? Falls nicht, sollte man das Image endgültig beerdigen, statt es als weitgehend leere Hülle weiterleben zu lassen. Falls doch, folgt eine zweite, zugegeben komplizierte Frage: Wie kann Krefeld wirklich zur Stadt wie Samt und Seide werden?

Durch die bisher gepflegte Flickschusterei wird es nicht gelingen. Statt Orte textiler Geschichte nur zu erhalten, notdürftig baulich herzurichten und gleichzeitig finanziell auszutrocknen, muss man sie in attraktive Stätten kultureller Erfahrung und Begegnung verwandeln. Gleichzeitig muss man die textile Historie Krefelds überall in der Stadt sichtbar machen — es gibt Zeugnisse davon, nur läuft man meist achtlos daran vorbei.

Beides wird erst Hirnschmalz und dann Geld kosten, aber vielleicht wird es einer Stadt dauerhaft eine Identität verleihen, die gerade immerhin rund 500.000 Euro für die „Größte Straßenmodenschau der Welt“ ausgegeben hat.

Der Zuspruch für diese Veranstaltung zeigt, dass textile Gegenwart Chancen hat in Krefeld. Die Geschichte ist untrennbar damit verbunden, auf ihr ist Krefeld gebaut. Es gilt, die Erinnerung wachzuhalten — bevor niemand mehr weiß, warum hier überhaupt ein Textilmuseum steht.