Anastasia Chertok: Kolossale Tongemälde
Die Russin Anastasia Chertok glänzt in der Schutzengelkirche an der Orgel. Sie entlockt dem Instrument eine erstaunliche Klangfülle.
Krefeld. In ihr Konzertprogramm hatte Anastasia Chertok hierzulande unbekannte Komponisten aufgenommen, so dass der Kantor der Schutzengelkirche, Christoph Scholz, selber erst einmal im Lexikon nachschauen musste. Dabei handelt es sich mit Georgi Alexandrowitsch Muschel (1909 — 1989) und vor allem Alexander Fjodorowitsch Goedike (1877 — 1957) sogar um „frühe“ Vertreter der russischen Orgelmusik.
Die Tradition kirchlicher Orgelwerke, wie sie beispielsweise durch Johann Sebastian Bach oder Dietrich Buxtehude auch bei diesem Konzert zum Klingen kam, gibt es in Russland nicht. Der orthodoxe Gottesdienst lebt musikalisch vom Chorgesang ohne Instrumentalbegleitung.
Zar Peter I., ein Zeitgenosse Johann Sebastian Bachs, schätzte die westeuropäische Orgelmusik und wollte sie auch in seinem Reich einführen. Doch es sollte noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts dauern, bis man vom Beginn einer russischen Orgelmusik und des Orgelbaus sprechen kann, erläuterte Anastasia Chertok.
Der zweite Teil des Konzerts umfasste Bearbeitungen von Kompositionen, die nicht für die Orgel geschrieben worden waren. Vier Tänze aus Tschaikowskis Ballettsuite „Der Nussknacker“ hatte die Solistin sogar selber für ihr Instrument bearbeitet.
Dabei zeigte es sich, wie vielseitig eine Orgel durch ihre Register klingen kann. Ohne Mühe waren mit den ersten Tönen beispielsweise der Russische Tanz und der Chinesische Tanz zu erkennen. Sie kamen nur etwas langsamer daher, als man es von Orchesterfassungen kennt.
Richard Wagners Ouvertüre zur Oper „Tannhäuser“ — in der Version für Orgel von Goedike — entwickelte sich zu einem kolossalen Tongemälde, bei dem die junge Russin im wahrsten Sinne des Wortes alle Register zog.
Auch hierin zeigte sich, dass sie viele Facetten des west-östlichen Orgelspiels beherrscht und dem Instrument eine Klangfülle zu entlocken versteht, die mehr als 350 Jahre Musikgeschichte sehr anschaulich machen.
Das Publikum dankte mit stehendem Applaus.