Der Zweifler mit dem aggressiven Unterton
Der Humor von Jess Jochimsen funktioniert wie Schnaps — er brennt nach.
Krefeld. Vierzig ist er, aus München kommt er, in Freiburg wohnt er und landet auf der Kabarett-Bühne der Kulturfabrik erst einmal „ganz entspannt“. Jess Jochimsen gastiert mit seinem Programm „Durst ist schlimmer als Heimweh“ und unterhält das Publikum mit einer durchaus eigenen Mischung aus Lesung, Stand-Up-Comedy, Songs und Diashow. Es geht damit los, dass er sich so „reinplaudert“ in den Abend.
Von Erich Kästner habe er den Titel geklaut, aber eigentlich habe er ihn in einem Pissoir zum ersten Mal gesehen. Tagesaktuell ist Jochimsen nicht, will es auch nicht sein, ihn kümmert die Grundstimmung in der Republik.
Dass hierzulande alle 47 Minuten ein Selbstmordversuch gelingt, hebt er als Running Gag hervor. Seit er dies wisse, gehe er immer besonders vorsichtig an Hochhäusern vorbei.
Sein „depressiver Jahresrückblick“ lebt vor allem von privat anmutenden Geschichten. So zitiert er seinen Vater mit dessen angeblichem Ausspruch zur Silberhochzeit: „Hätte ich Deine Mutter damals erschlagen, wäre ich jetzt schon wieder auf freiem Fuß.“
Jochimsen gibt sich als melancholischer Zweifler, aber viele seiner Texte haben einen aggressiven Unterton, der so ähnlich funktioniert wie mancher Schnaps. Er brennt nach.
Wenn Jochimsen etwas sanfter ist, dann stellt er Fragen wie diese: „Wenn beim Synchronschwimmen einer ertrinkt, was machen dann die anderen?“ Da lässt ein wenig Woody Allen grüßen. Stilblüten sind ihm ein steter Quell der Erregung, dass der Pressesprecher von Stuttgart 21 verkündet hat, dass Ersatzbäume für die im Rahmen der Baumaßnahme schon Gefällten gepflanzt werden, darüber kann er sich kaum beruhigen.
In aller Ruhe hingegen lässt er Sprachentgleisungen bei einer Diashow auf sein Publikum wirken. Da zeigt er Fotos von skurril getexteten Schildern, die mindestens zum Schmunzeln einladen. Man bestaunt einen „Fachhandel für Senioren, Behinderte und Linkshänder“ oder fragt sich, was man wohl zu essen bekommt, wenn an einem Imbiss angepriesen wird: „Hühner-Kebab 2,50, Kinder-Kebab 1,10“.
Sein „Novembergefühl“ beginne schon im März und ziehe sich dann lang hin, erzählt er. Auch im zweiten Teil lässt Jochimsen nicht ab von der Melancholie, freut sich aber zum Beispiel darüber, dass er in einem Fuldaer Gothic-Geschäft schwarzes Klopapier erstehen konnte. Immerhin. Am Ende viel Applaus.