Ein unvermeidbarer Sog

Premiere am Theater hintenlinks: Das Stück „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ würde mit weniger Überbauten auskommen.

„Nichts Schöneres gibt es auf der Welt, als einen Menschen, der seine Arbeit liebt“. Dieses Zitat von Juri Gagarin, vorgelesen aus einem abgerissenen Kalenderblatt, steht im krassen Gegensatz zur Realität des Protagonisten im „Tagebuch eines Wahnsinnigen“. Das von Nikolai Gogol im Jahre 1835 geschriebene Stück steht seit Ende April auf dem Spielplan des Theaters Hintenlinks in Krefeld.

Es beschäftigt sich mit einem unter der Monotonie seines unbarmherzigen Arbeitsalltags erdrückten Individuums. In seiner Inszenierung lässt Peter Gutowski die Darstellerin des Aksenti, Anuschka Gutowski, auf Knien durch Tunnel aus durchsichtigen Plastikfolien rutschen. Ein Metallquader in der rechten Bühnenecke symbolisiert das Büro als Gefängnis, auf dessen Außenseite höhnisch die Worte „Das Ende der Knechtschaft“ gekritzelt sind.

Am gegenüberliegenden Ende befindet sich ein winziges Podest mit Bett und Stuhl. Aksentis verwahrlostes Zuhause mit Wäschestapeln, herumfliegenden Zetteln, vertrockneten Blumen und einer Dose Linsensuppe. Darüber hängt ein winziger Abrisskalender, aus dem Anuschka Gutowski zwischen ihren Gedankenmonologen immer wieder Zitate abliest. Aksenti wird in seinem täglichen Trott von seinem Alter Ego in identischer Kostümierung auf Schritt und Tritt verfolgt und beobachtet.

Es flüstert ihm bedrohliche Worte zu und singt ihm gar ein arabisches Schlaflied. Dieses wiederum bringt Aksenti nach dem Erwachen zu der Überzeugung, er sei gar nicht ein einfacher Mitarbeiter des Staatssekretärs, der diesem nur die Bleistifte spitzt, sondern der König von Arabien.

Als Zuschauer wird man von optischen und akustischen Eindrücken geradezu überschwemmt: Traumsequenzen werden auf einem Monitor abgespielt. Weitere Monitore zeigen das Innere des Büros und den Tunnel. Auf dem sechsten Monitor, in der Mitte der Bühne, wird übertragen, was Aksenti durch seine merkwürdige Videobrille wahrnimmt. Immer wieder gibt es Toneinspielungen von klappernden Schreibmaschinen und anderen, undefinierbaren Geräuschen.

Juri Gagarin

Als Über-Ich oder eine Art Big Brother thront über dem ganzen Bühnenlabyrinth auf einem Gerüst eine groteske Gestalt mit Abraham Lincoln- Bart und einem Zylinder aus der US-Flagge, die von Zeit zu Zeit Ernährungs- und Lebensregeln mit monotoner Stimme durchsagt. Dabei würde die Geschichte auch mit weniger überfrachtenden Überbauten auskommen. Sie besitzt den beinahe unvermeidbaren Sog, sich mit dem Wahnsinn des Protagonisten auseinanderzusetzen, ja sogar teilweise zu identifizieren. Dies gelingt auch durch die überzeugende Sprache von Anuschka Gutowski, die den wirren Monologen eindrückliche, sprachliche Kraft verleiht.

Sehr irritierend ist schließlich der nicht erkennbare Schluss des Stücks, der den Zuschauer in dem Zwiespalt lässt, ob er nun applaudieren und aufstehen soll oder noch beklommen abwartet.

“ Das Stück „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ wird am heutigen Freitag und am Samstag, 5. Mai, um jeweils 19.30 Uhr und am Sonntag, 6. Mai, um 17 Uhr gezeigt. Mehr Informationen gibt es im Internet unter:

theaterhintenlinks.de