Kafka im Kresch: Das greifbare Gefühl der Beklemmung
Premiere: "Der Prozess" von Franz Kafka. Ein überzeugender Abend über einen Albtraum.
Krefeld. Dieser Josef K. ist kein Opfer. Widerborstig, sarkastisch und arrogant begegnet er den Autoritäten, die ihn verhaftet und angeklagt haben. K. hat nichts getan, er ist ein rechtschaffener Bürger und, wie er immer wieder betont, Prokurist einer großen Bank. Dennoch muss er am Ende gegen das Gesetz verlieren. Es rollt über ihn hinweg, weil es nicht mehr den Menschen dient, sondern nur noch sich selbst — ein abgeschottetes System undurchschaubarer Regeln. In seinem visionären Roman „Der Prozess“ hat Franz Kafka vor 100 Jahren eine Gefahr vorgezeichnet, die bis heute präsent ist. Das Buch wird nicht alt, es hängt wie eine düstere Vorahnung über dem, der es aufblättert. Franz Mestre hat nun für das Kresch-Theater eine Bühnenfassung entwickelt, die am Samstag Premiere feierte und die das gleiche Unbehagen vermittelt. K. (Sunga Weineck) erlebt einen Albtraum, der uns schon deswegen keine Distanz ermöglicht, weil wir erkennen müssen, dass wir alle K. sind.
Das liegt an Weineck, der seine Figur nicht als passiven Eigenbrötler oder verklemmten Spinner hinstellt, sondern als selbstbewussten Kerl. Vom ersten Moment an, in dem er empört aus dem Bett springt und den ungebetenen Gästen mit ihren dunklen Sonnenbrillen die Meinung geigt, ist K. ein Aktivposten — brav und bieder zwar, voller Schwächen und Sehnsüchte, vor allem in Bezug auf Frauen, aber gerade dadurch ein Mensch, den erst die Umstände zum Getriebenen machen. Weineck trägt das Stück, er lässt es beinahe lässig um sich kreisen. K.’s oft eigentümliches Verhalten fällt schon deshalb kaum ins Gewicht, weil die Welt um ihn herum verrückt ist. Der Tonfall, den Mestre konsequent bis zum bitteren Ende durchhält, lässt Kafkas grotesken Humor hervorstechen, weniger die düstere Untergangsstimmung, die sonst oft vorherrscht. Aus dem Text, den er selbst bearbeitet hat, schält Mestre erstaunliche Pointen hervor, die vor allem Matthias Oelrich in diversen Nebenrollen perfekt zu setzen versteht.
Für ihn und seine Kollegen Amely Draeger, Helge Fedder, Heide Michels und Thorsten Strunk ist das Stück ein Kraftakt. Rund 30 Rollen müssen sie in wechselnden Kostümen (Sigrid Trebing) besetzen: Viele scharfe kleine Porträts sind darunter, etwa Oelrichs Richter, Fedders Advokat, Strunks Maler oder Draegers Fräulein Bürstner. Da Mestre Kafkas Originaltext bewahren wollte, lässt er die Darsteller oft Erzählpassagen in der dritten Person rezitieren. Sie meistern die potenziellen Bruchstellen mit Bravour.
Auch die schnellen Szenenwechsel schaden dem Erzählfluss nicht. Im Gegenteil entsteht durch die funktionale Bühne von Frank Andermahr Dynamik, weil in Windeseile aus Tisch, Bett, Türen, Wänden und Stühlen neue Räume entstehen. K. läuft durch ein schwarz-weißes Labyrinth, das sich ständig verändert. Die sparsam, aber effektiv eingesetzten Videobilder von Ludwig Kuckartz und das Knistern und Rauschen der Tonspur verstärken das Gefühl von Beklemmung.
Am besten an diesem überzeugenden Theaterabend gelingt jene zentrale Szene, die auch den Fixpunkt des Romans darstellt: Heide Michels trägt als Geistlicher ohne Spur von Pathos oder Bedeutungsschwere das Gleichnis vom Türhüter vor, K. hört unbehaglich zu. In der Fabrik Heeder ist es in diesen Minuten totenstill. Nun hat wohl jeder begriffen, dass man Kafka nicht ins Jahr 2014 holen muss. Er ist schon hier.
Abendvorstellungen am 30. März und 2. April, 19 Uhr. Schulvorstellungen am 1., 2. und 3. April, 10.30 Uhr. Karten unter Telefon 02151/86 26 26.