Künstler Anatol umschließt die Welt
Der Bildhauer zeigt seine Werke ab nächsten Samstag in der Druckerei Schotte. Das Gebäude wird im Herbst abgerissen.
Krefeld. Große Dinge fangen oft klein an, in diesem Fall mit einem alten Regal. Angelika Petri und Frank Merks von der Künstlerkolonie Seewerk in Moers wollten es gerne haben, der Uerdinger Unternehmer Heinz Schotte hatte keine Verwendung mehr dafür.
Aus dieser zufälligen Begegnung ist binnen weniger Wochen eine Ausstellung entstanden, die weit über Krefeld hinaus Interesse wecken wird. Der bekannte Bildhauer und Beuys-Schüler Anatol, der im Seewerk arbeitet, zeigt ab 17. Mai alte und neue Arbeiten in der ehemaligen Druckerei Schotte an der Bruchstraße. „Er hat die alten Bleisatz-Buchstaben gesehen, aus denen Wörter, Sätze und ganze Bücher entstanden sind“, erzählt Heinz Schotte. „Da war er gleich begeistert von diesem Ort.“
Die Druckerei soll im Herbst abgerissen werden, auch das hat Anatol fasziniert. Die „Zerstörung des Ortes“, wie er es nennt, passt zu seinen neuen Werken: Deren Grundlage sind alte grüne Türen aus den Dörfern der Garzweiler-Region, die wegen des Braunkohle-Tagebaus von der Landkarte getilgt sind. Neben Anatols Kunst sind auch Stein- und Holzarbeiten seines Schüler Frank Merks zu sehen.
Anatol, der eigentlich Karl-Heinz Herzfeld heißt, verkörpert mit seinen 83 Jahren ein Stück lebendige Kunstgeschichte. Er war Schmied, Puppenspieler und Polizeibeamter, bis er begann, bei Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf zu studieren. Als sein Professor 1972 vom damaligen Wissenschaftsminister Johannes Rau entlassen wurde, war Anatol einer der Rädelsführer einer legendären Protestaktion.
Mit einem selbst geschnitzten Einbaum überquerte er den Rhein und brachte Beuys an der Kunstakademie an Land — die „Heimholung des Joseph Beuys“. Später nahm er an diversen Documenta-Ausstellungen teil und siedelte sein Atelier Anfang der 80er auf der Neusser Museumsinsel Hombroich an.
In Uerdingen ist in den Tagen vor der Ausstellung ein munterer, tatkräftiger Anatol zu erleben. Er plaudert über seine ostpreußische Heimat, seinen Onkel Jakob und den Kunstsammler Karl-Heinrich Müller. Der spätere Gründer der Stiftung Insel Hombroich habe ihm die ersten Bilder abgekauft, erzählt Anatol, bezahlt mit lauter 1000-Mark-Scheinen, die er aus seinem „Karnickeltäschchen“ hinblätterte. „Danach hat er mir noch seinen Mercedes geschenkt.“
Über seine Kunst spricht Anatol kurz und knapp. Statt lange zu erklären, zeichnet er lieber mit wenigen Strichen eine menschliche Gestalt auf ein Papier und zitiert dazu seinen Lehrmeister Beuys. „Es geht nicht darum, Bildchen zu malen“, hat der ihnen eingeschärft. „Ihr müsst die Welt umfassen.“
Das versucht Anatol bis heute — von Fukushima bis Donezk. Als er kürzlich im Krankenhaus war und sein Bettnachbar Sport statt Nachrichten sehen wollte, zeigte Anatol sich von seiner streitlustigen Seite: „Verstehen Sie nicht, was da in der Ukraine los ist?“
Von Putin gelangt Anatol in Windeseile zu Burt Lancaster, von Bertold Brecht zur Bild-Zeitung. Er hat sich zur Feier des Tages das Bild-Logo um den Hals gehängt, ein Journalist des Blattes ist zur Vorbesichtigung erschienen. Mit Hilfe einer Straßenwalze druckt er das Emblem der Zeitung auf eine Stoffbahn — der Fotograf steht bereit. Doch leider war ein Buchstabe falsch herum aufgeklebt. „Bilb bleibt“ steht auf dem Stoff. Anatol kann darüber schmunzeln.
Die tonnenschwere, dröhnend laute Walze wird sicher auch zur Attraktion für die Kindergärten und Schulklassen, die Anatol an der Bruchstraße erwartet. Er liebt es, mit Kindern zu arbeiten: „Sie gehen unbefangen an die Dinge heran und schauen genau hin.“ Auch in diesem Zusammenhang könnte der Ort kaum passender sein: Bevor die Druckerei im Jahr 1965 an die Bruchstraße zog, war in den Gebäuden eine Schule untergebracht. Ein Kreis schließt sich.
Das gilt ganz besonders für Heinz Schotte. Der Ort seiner unternehmerischen Laufbahn wird bald verschwunden sein, an gleicher Stelle lässt er einen Neubau mit 22 Seniorenwohnungen errichten (die WZ berichtete). Mit der Ausstellung macht er nicht nur den Uerdingern ein Geschenk, sondern auch sich selbst: „Für mich ist das ein wunderschönes Ende meines langen Berufslebens.“
Die Ausstellung wird am 17. Mai um 14 Uhr eröffnet und läuft bis 15. Juni. Adresse: Bruchstraße 19.