Krefelder Kultur Theater: Plötzlich will der Afrikaner mitsingen
Im Stadttheater feierte das Auftragswerk zur Flüchtlingskrise seine umjubelte Premiere. „Kein schöner Land“ konnte überzeugen.
Krefeld. Ein schlichter Gemeindesaal, ein siebenköpfiger Chor. „Muss i denn zum Städele hinaus ...“, wird angestimmt, und traute Heimeligkeit will nicht aufkommen. Denn da ist ja noch einer. Der ist erstens Afrikaner und will zweitens auch noch mitsingen. Der Flüchtling nicht mehr vor den Toren, sondern schon mittendrin. Das ist die Ausgangslage in Hüseyin Michael Cirpicis und Lothar Kittsteins Textcollage „Kein schöner Land“, die sich der aktuellen Flüchtlingsproblematik annimmt. Premiere feierte die Uraufführung jetzt im Krefelder Stadttheater.
Das Theater Krefeld Mönchengladbach hat das Stück in Auftrag gegeben. Schauspieldirektor Matthias Gehrt hat das nicht einfache Werk inszeniert, Gabriele Trinczek hat die Bühne, Petra Wilke die Kostüme entworfen. Vom Publikum gab es für die Premiere stehende Ovationen.
Die Autoren haben Interviews geführt und im Internet recherchiert. Ihr Material haben sie nicht zu einem Drama mit nachvollziehbaren Figuren verdichtet. Es entspannt sich ein Flickenteppich aus Stimmungen, Meinungen, Erzählungen, Charakterskizzen - und all das wird nicht klar zugeordnet.
Gastschauspieler Jubril Sulaimon stammt aus Nigeria und spielt den Flüchtling, der zunächst aus Afrika kommt, später aber auch aus Syrien und weiteren Ländern. Der eine steht für viele - und dann wird ausgerechnet ihm auch noch eine rechts-nationale Brandrede in den Mund gelegt. Das ist eine von mehreren Brechungen, die die dokumentarische Basis des Stücks ihrer Eindeutigkeit berauben und der Unübersichtlichkeit der Gemengelage besser gerecht werden.
Nur am Anfang ist die Trennung in zwei Lager nicht nur wahrnehmbar, sondern wird durch die Platzierung der Chormitglieder im Publikum noch pointiert: hier die Mehrheitsgesellschaft - auf dem Präsentierteller Bühne der Fremde. Und das Kollektiv setzt scheinbar wohlmeinende Sprachkorrekturen ein, um sich den vom Leib zu halten. Sagt er: „Die haben mich auf den Boden geworfen“, wird er prompt verbessert: „Zu Boden geworfen.“
Später sind alle auf der Bühne und werden viele. Dann kann auch einmal ein Chormitglied eine Folterung beklemmend schildern. Es gibt Dinge, vor denen zu fliehen wohl die einzige Wahl ist, um sein Leben zu retten.
Aus dem zunächst homogen erscheinenden Chor wird ein Splitterbild deutscher Befindlichkeit. Der Wutbürger steht da neben dem Gutmenschen, und die Banalität von Luxusproblemen wird bloßgelegt, wenn über Selbstoptimierung, den Orgasmus als einziges Gütesiegel einer Beziehung und die neueste Handy-App schwadroniert wird.
Klischees werden lächerlich gemacht. Flüchtlinge haben alle Smartphones? Sulaimon hat gleich eine ganze Einkaufstüte voller Handys. Und Intendant Michael Grosse schlüpft in die Rolle des Hausmeisters, der einerseits ordnungsbesessen die Bühne fegt, andererseits psychologisches Einfühlungsvermögen beweist.
Am Ende sitzt der Flüchtling allein im Publikum und singt „Kein schöner Land“, manche im Publikum summen mit. Ausgerechnet der Flüchtling stiftet hier Harmonie.
Die Flüchtlingskrise hat diese Gesellschaft verändert. Einfache Antworten, wie sie am rechten Rand des politischen Spektrums gerade wohlfeil zu haben sind, werden nicht helfen - das zu verstehen, hilft dieses Stück. Über dramaturgische Mängel - zu viele Wiederholungen und Variationen des Sprachmaterials - kann man hinwegsehen. Das Ensemble - neben Grosse und Sulaimon Esther Keil, Helen Wendt, Joachim Hentschke, Jonathan Hutter, Michael Ophelders, Ronny Tomiska und Christopher Wintgens - agiert homogen und angemessen.