Wo Superman zur Welt kam

US-Künstler Mike Kelley lädt zur Reise nach Kandor, in die Heimatstadt des Comic-Helden. Eine großartige Ausstellung.

Krefeld. Ein kosmisches Meer hat diese Fundstücke angespült, als bizarres Strandgut in unsere Welt geworfen. Vielleicht hat auch ein planetarischer Handwerker die Finger im Spiel: In seiner Werkstatt hat er die Modelle fantastischer Metropolen gestaltet und auf die Erde gebeamt. Oder war es Superman selbst, der in seiner Festung der Einsamkeit Türme, Brücken und Häuser aus Kindheitserinnerungen gebaut hat? Der Comic-Held muss einen guten Draht nach Krefeld haben.

Er selbst fehlt in der Ausstellung „Kandors“, die am Samstag in den Häusern Esters und Lange eröffnet wird. Es gibt kein Bild, keine Sprechblase, keinen Faden des roten Umhangs. Der US-Künstler Mike Kelley, ironischerweise kein Fan der Comic-Hefte, interessiert sich nicht für den Heroen, sondern für seine tragische Geschichte. So halten es auch Filmemacher wie Christopher Nolan oder Guillermo del Toro, die Batman oder Hellboy eine Seele geben, die alles andere als makellos ist.

Kelley hat in früheren Arbeiten Plüschtiere und das Schulsystem untersucht — nun also das Kindheitstrauma des menschlichen Übermenschen. Als Superman ein kleiner Junge war, wurde seine Heimatstadt Kandor auf dem Planeten Krypton vom Schurken Brainiac mitsamt ihrer Einwohner verkleinert und unter eine Glasglocke verbannt. „Wenn man den Superhelden-Mythos abzieht, kommt eine furchtbare Geschichte zum Vorschein“, sagt Museumchef Martin Hentschel, erklärter Fan amerikanischer Comics und Filme. Mit kindlicher Begeisterung hat er Kelleys Arbeiten in Berlin gesehen und ihn an den Niederrhein eingeladen.

Hier sind die gesammelten Fantasien des Künstlers in ungekannter Fülle zu erleben: Wer die Museumsvillen betritt, kommt an einen magischen Ort. Es ist selten genug, dass Kunst einen Zustand haltlosen Staunens auslöst. Diesmal passiert es, und der Grund ist simpel: Objekte, die vergleichbar oder nur entfernt ähnlich wären, hat man nie gesehen, jedenfalls nicht auf diesem Planeten.

Unter riesigen transparenten Kuppeln, die Kelley von böhmischen Glasbläsern herstellen lässt, erschafft der Künstler seine Visionen von Kandor: Städte aus Eis, Farbe und Licht, Schaum und Stein, undefinierbar und wunderschön. Doch im Zauber lauert schon die Vernichtung, nicht nur weil die Metropolen lediglich über Schläuche mit Sauerstoff versorgt werden. An den Wänden hängen ihre Abbilder, die je nach Blickwinkel schrumpfen, wachsen oder ganz verschwinden. Aus animierten Kandor-Bildern an der Wand schreien, lachen und quengeln Kinder, das es einem kalt den Rücken herunter läuft.

Neun Video-Projektionen, die sonst neben der jeweiligen Glasglocke gezeigt werden, sind in Krefeld separat zu sehen. Sie verwandeln das Obergeschoss von Haus Lange in ein Horrorkabinett. Durch die Etage, völlig abgedunkelt wie der Rest der Ausstellung, wabert sphärische Musik, während durch die abgefilmten Glasglocken Tornados und Stürme toben. Welten lösen sich auf.

Erst zwei Jahre ist es her, dass den Kunstmuseen ein ähnlich großer Wurf gelang. Damals wurde Haus Lange zum Bunker, und der Architekt war ein Lehrer von Mike Kelley: John Baldessari.