Lesen ist kein Hexenwerk mehr für Emily und Lyon

Helga Krall und Rüdiger Dräger sind zwei von 53 Leselernhelfern in Krefeld, die Schüler für das geschriebene Wort begeistern.

Foto: Dirk Jochmann

Oppum. Rote Fußspuren auf dem Boden der Schönwasserschule weisen dem Besucher den Weg zur kleinen Bücherei in der zweiten Etage. Emily und Lyon kennen ihn im Schlaf: Einmal in der Woche, wenn ihre Klassenkameraden nach dem Unterricht nach Hause gegangen sind, treffen sie sich hier mit ihrem Lesepaten und hängen noch 45 Minuten an ihren Schultag dran. Freiwillig. Das Lesen macht ihnen inzwischen richtig Spaß — und ganz nebenbei haben sich auch ihre Noten in Deutsch verbessert.

Die ehemalige Bibliothekarin Helga Krall und der frühere Handelsvertreter Rüdiger Dräger sind zwei der insgesamt sechs Lesepaten, die regelmäßig nach Unterrichtsschluss in die Schule an der Thielenstraße in Oppum kommen, um mit jeweils nur einem Kind zu lesen. 49 Frauen und vier Männer zählt der Verein Mentor. Mehr als 11 000 Ehrenamtler sind es bundesweit, die gezielt insgesamt 14 000 Schüler fördern. Lesen und das Gelesene zu begreifen, eröffne Kinder und Jugendlichen das Tor zur Welt — und zu einer besseren Bildung, wie Helga Krall den Sinn und Zweck des Vereins erklärt. Der Krefelder Ableger hat sich 2016 gegründet.

Barbara Peters, Schulleiterin der Schönwasserschule, und Sonja Gref als Projektleiterin sind froh über das zusätzliche Förderangebot an ihrer Schule. Kurz vor den Osterferien haben sie gemeinsam in der Schule für alle ein 14-tägiges Buch-Projekt durchgeführt. „Höhepunkt war ein Besuch der Mediothek sowie zum Abschluss ein Projekttag mit Eltern und Freunden, bei dem die Kinder jeweils ein Buch vorgestellt haben“, erzählt Barbara Peters. „Für uns ist es sehr wichtig, dass sich eine vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Kind und dem Mentor entwickelt“, sagt Krall. Die Leselernhelfer bringen die Freude am Lesen und Erzählen wie auch Geduld mit. Diese Stunde zählt nicht zum Unterricht, sondern ist freiwillig — und sie soll den Kindern auch Freude bereiten.

Dass das bei Emily und Lyon wie auch den anderen teilnehmenden Kindern gelungen ist, zeigt die Reihe der Bücher, die sie schon gemeinsam gelesen haben. Die Neunjährige liebt Elfengeschichten und hat gerade mit dem Buch „Erst ich ein Stück, dann du“ begonnen. Hat anfangs Helga Krall noch die großen Passagen vorgelesen, ist das jetzt schon umgekehrt. Lyon liebt die Abenteuer-Geschichten des Tiger-Teams. Das aktuelle Buch spielt im alten Rom. „Deshalb werden wir als Nächstes auch ein Sachbuch über das Römische Reich beginnen“, erzählt Krall.

Den Spaß am Lesen wollen die beiden Ehrenamtler bei den Kindern fördern. Deshalb greifen sie auch nicht zu Schulbüchern. „Das ist ja schließlich kein Nachhilfeunterricht.“ Dass das bei den Kindern gut ankommt, zeige ihre Reaktion, wenn wegen der zurückliegenden Brückentage einige Lesestunden montags und donnerstags ausfallen mussten.

Inzwischen haben Emily und Lyon begonnen, auch zu Hause zu lesen. Das ist heutzutage nicht selbstverständlich. „Computerspiele sind eine echte Konkurrenz zum Lesen“, bedauert Helga Krall. Deshalb gibt Rüdiger Dräger seinem Lesekind Dominik auch die Zeit und den Raum, neben dem Lesen über das zu reden, was ihn gerade beschäftigt. Zeit ausschließlich für sie zu haben, sei für die Kinder das Größte.